
Die Prinzessin in der Flammenburg
Märchen aus Siebenbürgen
(Rumänien)
Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder, als Hühner im
Stall und hatte alle Leute in seinem Dorf schon zu Gevatter gehabt; als
ihm nun wieder ein Söhnchen geboren wurde, setzte er sich an die
Landstraße, um den ersten besten zu Gevatter zu bitten. Da kam ein
alter Mann in einem grauen Mantel die Straße, den bat er und der nahm
den Antrag willig an, ging mit und half den Knaben taufen.
Der alte Mann aber schenkte dem Armen eine Kuh mit einem Kalb, das war
an demselben Tag, an welchem der Knabe geboren, zur Welt gekommen und
hatte vorn an der Stirn einen goldnen Stern und sollte dem Kleinen
gehören.
Als der Knabe größer war, ging er mit seinem Rind, dar war nun ein
großer Stier geworden, jeden Tag auf die Weide. Der Stier aber konnte
sprechen, und wenn sie auf dem Berg angekommen waren, sagte er zum
Knaben: "Bleib du hier und schlafe, indes will ich mir schon meine
Weide suchen!" Sowie der Knabe schlief, rannte der Stier wie der Blitz
fort und kam auf die große Himmelswiese und fraß hier goldne
Sternblumen. Als die Sonne unterging, eilte er zurück und weckte den
Knaben, und dann gingen sie nach Hause. Also geschah es jeden Tag, bis
der Knabe zwanzig Jahre alt war.
Da sprach der Stier eines Tages zu ihm: "Jetzt sitze mir zwischen die
Hörner, und ich trage dich zum König, dann verlange von ihm ein sieben
Ellen langes eisernes Schwert und sage, du wolltest seine Tochter
erlösen!" Bald waren sie an der Königsburg; der Knabe stieg ab und ging
vor den König und sagte, warum er gekommen sei. Der gab gern das
verlangte Schwert dem Hirtenknaben; aber er hatte keine große Hoffnung,
seine Tochter wieder zu sehen, denn schon viele kühne Jünglinge hatten
es vergeblich gewagt, sie zu befreien.
Es hatte nämlich ein zwölfhäuptiger Drache entführt, und dieser wohnte
weit weg in einer Flammenburg, zu der niemand gelangen konnte, denn
erstens war auf dem Weg dahin ein hohes unübersteigbares Gebirge,
zweitens ein weites und stürmisches Meer und drittens wohnte der Drache
in einer Flammenburg.
Wenn es nun auch jemanden gelungen wäre, über das Gebirge und das Meer
zu kommen, so hätte er doch durch die mächtigen Flammen nicht
hindurchdringen können, und wäre er glücklich durchgedrungen, so hätte
ihn der Drache umgebracht.
Als der Knabe das Schwert hatte, setzte er sich dem Stier zwischen die
Hörner und im Nu waren sie vor dem großen Gebirgswall.
"Da können wir wieder umkehren", sagte er zum Stier, denn er hielt es
für unmöglich, hinüberzukommen.
Der Stier aber sprach: "Warte nur einen Augenblick!" und setzte den
Knaben zu Boden. Kaum war das geschehen, so nahm er einen Anlauf und
schob mit seinen gewaltigen Hörnern das ganze Gebirge auf die Seite,
also, dass sie weiterziehen konnten. Nun setzte der Stier den Knaben
wieder zwischen die Hörner, und bald waren sie am Meere angelangt.
"Jetzt können wir umkehren!" sprach der Knabe, "denn da kann niemand
hinüber!" "Warte nur einen Augenblick!" sprach der Stier, "und halte
dich an meinen Hörnern." Da neigte er den Kopf zum Wasser und soff und
soff das ganze Meer auf, also, dass sie trocknen Fußes, wie auf einer
Wiese, weiterzogen. Nun waren sie bald an der Flammenburg. Aber da kam
ihnen schon von weitem solche Glut entgegen, dass der Knabe es nicht
mehr aushalten konnte.
"Halte ein!" rief er dem Stier zu, "nicht weiter, sonst müssen wir
verbrennen." Der Stier aber lief ganz nahe und goss auf einmal das
Meer, das er getrunken hatte, in die Flammen, also, dass sie gleich
verlöschten und einen mächtigen Qualm erregten, von dem der ganze
Himmel gleich mit Wolken bedeckt wurde. Aber nun stürzte aus dem
fürchterlichen Dampf der zwölfhäuptige Drache voller Wut hervor.
"Nun ist es dir!" sprach der Stier zum Knaben, "siehe zu, dass du auf
einmal dem Ungeheuer alle Häupter abschlägst!"Der nahm all seine Kraft
zusammen, fasste in beide Hände das gewaltige Schwert und versetzte dem
Ungeheuer einen so geschwinden Schlag, dass alle Häupter
herunterflogen. Aber nun schlug und ringelte sich das Tier auf der
Erde, dass sie erzitterte. Der Stier aber nahm den Drachenrumpf auf
seine Hörner und schleuderte ihn nach den Wolken, also dass keine Spur
mehr von ihm zu sehen war.
Dann sprach er zum Knaben: "Mein Dienst ist nun zu Ende. Gehe jetzt ins
Schloss; da findest du die Königstochter, und führe sie heim zu ihrem
Vater!"
Damit rannte er fort auf die Himmelswiese, und der Knabe sah ihn nicht
wieder. Der Junge aber fand die Königstochter drinnen, und sie freute
sich sehr, dass sie von dem garstigen Drachen erlöst war. Sie fuhren
nun zu ihrem Vater, hielten Hochzeit, und es war eine große Freude im
ganzen Königreich.
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