Wilhelm Hauff
Der
Zwerg Nase
Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche
glauben, es habe nur zu Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers
von Bagdad, Feen und Zauberer gegeben, oder die gar behaupten,
jene Berichte von dem Treiben der Genien und ihrer Fürsten,
welche man von den Erzählern auf den Märkten der Stadt
hört, seien unwahr. Noch heute gibt es Feen, und es ist
nicht so lange her, daß ich selbst Zeuge einer Begebenheit
war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch berichten
werde.
In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands,
lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht
und recht. Er saß bei Tag an der Ecke der Straße
und flickte Schuhe und Pantoffeln und machte wohl auch neue,
wenn ihm einer welche anvertrauen mochte; doch mußte er
dann das Leder erst einkaufen, denn er war arm und hatte keine
Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und Früchte,
die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte,
und viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und
sauber gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige
Art auszubreiten wußte.
Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm
von Gesicht, wohlgestaltet und für das Alter von zwölf
Jahren schon ziemlich groß. Er pflegte gewöhnlich
bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen, und den Weibern
oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau eingekauft
hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach Hause,
und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine
schöne Blume oder ein Stückchen Geld oder Kuchen;
denn die Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn
man den schönen Knaben mit nach Hause brachte, und beschenkten
ihn immer reichlich.
Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich
auf dem Markte, sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl
und anderm Gemüse, allerlei Kräuter und Sämereien,
auch in einem kleineren Körbchen frühe Birnen, Äpfel
und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der Knabe, saß
neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: »Hierher,
ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend
diese Kräuter; frühe Birnen, ihr Frauen, frühe
Äpfel und Aprikosen, wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil.«
So rief der Knabe. Da kam ein altes Weib über den Markt
her; sie sah etwas zerrissen und zerlumpt aus, hatte ein kleines,
spitziges Gesicht, vom Alter ganz eingefurcht, rote Augen und
eine spitzige, gebogene Nase, die gegen das Kinn hinabstrebte;
sie ging an einem langen Stock, und doch konnte man nicht sagen,
wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte und wankte; es war,
als habe sie Räder in den Beinen und könne alle Augenblicke
umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen.
Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam.
Es waren jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich
auf dem Markte saß, und nie hatte sie diese sonderbare
Gestalt bemerkt. Aber sie erschrak unwillkürlich, als die
Alte auf sie zuhinkte und an ihren Körben stillstand.
»Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?«
fragte das alte Weib mit unangenehmer, krächzender Stimme,
indem sie beständig den Kopf hin und her schüttelte.
»Ja, die bin ich«, antwortete die Schustersfrau,
»ist Euch etwas gefällig?«
»Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen,
Kräutlein schauen, ob du hast, was ich brauche«,
antwortete die Alte, beugte sich nieder vor den Körben
und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, häßlichen Händen
in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die
so schön und zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen
Spinnenfingern, brachte sie dann eins um das andere hinauf an
die lange Nase und beroch sie hin und her. Der Frau des Schusters
wollte es fast das Herz abdrucken, wie sie das alte Weib also
mit ihren seltenen Kräutern hantieren sah; aber sie wagte
nichts zu sagen; denn es war das Recht des Käufers, die
Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein sonderbares
Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb durchgemustert
hatte, murmelte sie: »Schlechtes Zeug, schlechtes Kraut,
nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fünfzig
Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!«
Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. »Höre,
du bist ein unverschämtes, altes Weib«, rief er unmutig,
»erst fährst du mit deinen garstigen, braunen Fingern
in die schönen Kräuter hinein und drückst sie
zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß
sie niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst
du noch unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der
Koch des Herzogs alles bei uns!«
Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich
und sprach mit heiserer Stimme: »Söhnchen, Söhnchen!
Also gefällt dir meine Nase, meine schöne lange Nase?
Sollst auch eine haben mitten im Gesicht bis übers Kinn
herab.« Während sie so sprach, rutschte sie an den
andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die herrlichsten
weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie
zusammen, daß sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich
in den Korb und sprach auch hier: »Schlechte Ware, schlechter
Kohl!«
»Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!«
rief der Kleine ängstlich. »Dein Hals ist ja so dünne
wie ein Kohlstengel, der könnte leicht abbrechen, und dann
fiele dein Kopf hinein in den Korb; wer wollte dann noch kaufen!«
»Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?«
murmelte die Alte lachend. »Sollst gar keinen haben, Kopf
muß in den Schultern stecken, daß er nicht herabfällt
vom kleinen Körperlein!«
»Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen
da«, sagte endlich die Frau des Schusters im Unmut über
das lange Prüfen, Mustern und Beriechen, »wenn Ihr
etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr verscheucht mir ja die
anderen Kunden.«
»Gut, es sei, wie du sagst«, rief die Alte mit
grimmigem Blick. »Ich will dir diese sechs Kohlhäupter
abkaufen; aber siehe, ich muß mich auf den Stab stützen
und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, daß
es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen.«
Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute
vor der häßlichen Frau, aber die Mutter befahl es
ihm ernstlich, weil sie es doch für eine Sünde hielt,
der alten, schwächlichen Frau diese Last allein aufzubürden;
halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die Kohlhäupter
in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe über den
Markt hin.
Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe
drei Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der
Stadt kam und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause
stillhielt. Dort zog sie einen alten, rostigen Haken aus der
Tasche, fuhr damit geschickt in ein kleines Loch in der Türe,
und plötzlich sprang diese krachend auf. Aber wie war der
kleine Jakob überrascht, als er eintrat! Das Innere des
Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von Marmor waren die
Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten
Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden
aber war von Glas und so glatt, daß der Kleine einigemal
ausglitt und umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen
aus der Tasche und pfiff eine Weise darauf, die gellend durch
das Haus tönte. Da kamen sogleich einige Meerschweinchen
die Treppe herab; dem Jakob wollte es aber ganz sonderbar dünken,
daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, Nußschalen
statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider angelegt
und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe
gesetzt hatten. »Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes
Gesindel?« rief die Alte und schlug mit dem Stock nach
ihnen, daß sie jammernd in die Höhe sprangen. »Wie
lange soll ich noch so dastehen?«
Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit
ein Paar Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert,
welche sie der Alten geschickt an die Füße steckten.
Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab
von sich und glitt mit großer Schnelligkeit über
den Glasboden hin, indem sie den kleinen Jakob an der Hand mit
fortzog. Endlich hielt sie in einem Zimmer stille, das, mit
allerlei Gerätschaften ausgeputzt, beinahe einer Küche
glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und die Sofas, mit
reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach paßten.
»Setze dich, Söhnchen«, sagte die Alte recht
freundlich, indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte
und einen Tisch also vor ihn hinstellte, daß er nicht
mehr hervorkommen konnte. »Setze dich, du hast gar schwer
zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind nicht so leicht,
nicht so leicht.«
»Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich«, rief
der Kleine. »Müde bin ich zwar, aber es waren ja
Kohlköpfe, die ich getragen, Ihr habt sie meiner Mutter
abgekauft.«
»Ei, das weißt du falsch«, lachte das Weib,
deckte den Deckel des Korbes auf und brachte einen Menschenkopf
hervor, den sie am Schopf gefaßt hatte. Der Kleine war
vor Schrecken außer sich; er konnte nicht fassen, wie
dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter; wenn jemand
von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte
er bei sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür
anklagen.
»Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du
so artig bist«, murmelte die Alte, »gedulde dich
nur ein Weilchen, will dir ein Süppchen einbrocken, an
das du dein Leben lang denken wirst.« So sprach sie und
pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen in menschlichen
Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und
im Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach
diesen kam eine Menge Eichhörnchen hereingehüpft;
sie hatten weite türkische Beinkleider an, gingen aufrecht,
und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt.
Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten
mit großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und
brachten Pfannen und Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter
und Mehl herab und trugen. es auf den Herd; dort aber fuhr die
alte Frau auf ihren Pantoffeln von Kokosschalen beständig
hin und her, und der Kleine sah, daß sie es sich recht
angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt knisterte
das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der
Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die
Alte aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweinchen
ihr nach, und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit
ihrer langen Nase in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln
und zu zischen, Dampf stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum
floß herab ins Feuer. Da nahm sie ihn weg, goß davon
in eine silberne Schale und setzte sie dem kleinen Jakob vor.
»So, Söhnchen, so«, sprach sie, »iß
nur dieses Süppchen, dann hast du alles, was dir an mir
so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch werden, daß
du noch etwas bist; aber Kräutlein, nein, das Kräutlein
sollst du nimmer finden - Warum hat es deine Mutter nicht in
ihrem Korb gehabt?« Der Kleine verstand nicht recht, was
sie sprach, desto aufmerksamer behandelte er die Suppe, die
ihm ganz trefflich schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche
schmackhafte Speise bereitet; aber so gut war ihm noch nichts
geworden. Der Duft von feinen Kräutern und Gewürzen
stieg aus der Suppe auf, dabei war sie süß und säuerlich
zugleich und sehr stark. Während er noch die letzten Tropfen
der köstlichen Speise austrank, zündeten die Meerschweinchen
arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken durch
das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese
Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betäubend
auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, daß
er zu seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich
ermannte, sank er immer wieder von neuem in den Schlummer zurück
und schlief endlich wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein.
Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als
ziehe ihm die Alte seine Kleider aus und umhülle ihn dafür
mit einem Eichhörnchenbalg. Jetzt konnte er Sprünge
machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er ging mit den
übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen, die sehr
artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst
bei der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines
Schuhputzers gebraucht, d. h. er mußte die Kokosnüsse,
welche die Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben
und durch Reiben glänzend machen. Da er nun in seines Vaters
Hause zu ähnlichen Geschäften oft angehalten worden
war, so ging es ihm flink von der Hand; etwa nach einem Jahre,
träumte er weiter, wurde er zu einem feineren Geschäft
gebraucht; er mußte nämlich mit noch einigen Eichhörnchen
Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten, solche
durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt nämlich
die Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil
sie nicht gut beißen konnte, denn sie hatte keinen Zahn
mehr, so ließ sie sich ihr Brot aus Sonnenstäubchen
zubereiten.
Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt,
die das Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht,
daß sie sich hierzu etwa eine Zisterne hätte graben
lassen oder ein Faß in den Hof stellte, um das Regenwasser
darin aufzufangen; da ging es viel feiner zu; die Eichhörnchen,
und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen
den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser
der Alten. Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger
schwere Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst
des Hauses bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden
rein zu machen; da nun diese von Glas waren, worin man jeden
Hauch sah, war das keine geringe Arbeit. Sie mußten sie
bürsten und altes ach an die Füße schnallen
und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten
Jahre ward er endlich zur Küche versetzt. Es war dies ein
Ehrenamt, zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen
konnte. Jakob diente dort vom Küchenjungen aufwärts
bis zum ersten Pastetenmacher und erreichte eine so ungemeine
Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, was die Küche
betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern
mußte; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei
Essenzen, Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde
zusammengesetzt, alles lernte er, alles verstand er schnell
und kräftig zu machen.
So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen,
da befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog,
Korb und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er
sollte ein Hühnlein rupfen, mit Kräutern füllen
und solches schön bräunlich und gelb rösten,
bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst.
Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in
heißem Wasser, zog ihm geschickt die Federn aus, schabte
ihm nachher die Haut, daß sie glatt und fein wurde, und
nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann fing er an, die Kräuter
zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen sollte. In
der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein Wandschränkchen,
dessen Türe halb geöffnet war und das er sonst nie
bemerkt hatte. Er ging neugierig näher, um zu sehen, was
es enthalte, und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen,
von welchen ein starker, angenehmer Geruch ausging. Er öffnete
eines dieser Körbchen und fand darin Kräutlein von
ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die Stengel und Blätter
waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume von brennendem
Rot, mit Gelb verbrämt; er betrachtete sinnend diese Blume,
beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus,
von dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet
hatte. Aber so stark war der Geruch, daß er zu niesen
anfing, immer heftiger niesen mußte und - am Ende niesend
erwachte.
Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert
umher. »Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!«
sprach er zu sich, »hätte ich jetzt doch schwören
wollen, daß ich ein schnödes Eichhörnchen, ein
Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, dabei aber
ein großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen,
wenn ich ihr alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmälen,
daß ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu
helfen auf dem Markte?« Mit diesen Gedanken raffte er
sich auf, um hinwegzugehen; noch waren seine Glieder vom Schlafe
ganz steif, besonders sein Nacken, denn er konnte den Kopf nicht
recht hin und her bewegen; er mußte auch selbst über
sich lächeln, daß er so schlaftrunken war; denn alle
Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase
an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich
schnell umwandte, an einen Türpfosten. Die Eichhörnchen
und Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten
sie ihn begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf
der Schwelle war, denn es waren niedliche Tierchen; aber sie
fuhren auf ihren Nußschalen schnell ins Haus zurück,
und er hörte sie nur noch in der Ferne heulen.
Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die
Alte geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen
Gassen herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge;
denn es mußte sich, wie ihm dünkte, gerade in der
Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall hörte er
rufen: »Ei, sehet den häßlichen Zwerg! Wo kommt
der Zwerg her? Ei, was hat er doch für eine lange Nase,
und wie ihm der Kopf in den Schultern steckt, und die braunen,
häßlichen Hände!« Zu einer andern Zeit
wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein
Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten,
aber so mußte er sich sputen, um zur Mutter zu kommen.
Es war ihm ganz ängstlich zumute, als er auf den Markt
kam. Die Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viele
Früchte im Korb, lange konnte er also nicht geschlafen
haben; aber doch kam es ihm von weitem schon vor, als sei sie
sehr traurig; denn sie rief die Vorübergehenden nicht an,
einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die Hand gestützt,
und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei bleicher
als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich faßte
er sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich
seine Hand auf ihren Arm und sprach: »Mütterchen,
was fehlt dir? Bist du böse auf mich?«
Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des
Entsetzens zurück.
»Was willst du von mir, häßlicher Zwerg?«
rief sie. »Fort, fort! Ich kann dergleichen Possenspiele
nicht leiden.«
»Aber, Mutter, was hast du denn?« fragte Jakob
ganz erschrocken. »Dir ist gewiß nicht wohl; warum
willst du denn deinen Sohn von dir jagen?«
»Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!«
entgegnete Frau Hanne zürnend. »Bei mir verdienst
du kein Geld durch deine Gaukeleien, häßliche Mißgeburt!«
»Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!«
sprach der Kleine bekümmert zu sich. »Was fange ich
nur an, um sie nach Haus zu bringen? Lieb Mütterchen, so
sei doch nur vernünftig; sieh mich doch nur recht an; ich
bin ja dein Sohn, dein Jakob.«
»Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt«,
rief Hanne ihrer Nachbarin zu, »seht nur den häßlichen
Zwerg da; da steht er und vertreibt mir gewiß alle Käufer,
und mit meinem Unglück wagt er zu spotten. Spricht zu mir:
Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der Unverschämte!«
Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen,
so arg sie konnten - und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen
es -, und schalten ihn, daß er des Unglücks der armen
Hanne spotte, der vor sieben Jahren ihr bildschöner 'Knabe
gestohlen worden sei, und drohten, insgesamt über ihn herzufallen
und ihn zu zerkratzen, wenn er nicht alsobald ginge.
Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken
sollte. War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich
mit der Mutter auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte
aufstellen helfen, war nachher mit dem alten Weib in ihr Haus
gekommen, hatte ein Süppchen verzehrt, ein kleines Schläfchen
gemacht und war jetzt wieder da, und doch sprachen die Mutter
und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und sie nannten ihn
einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm vorgegangen?
- Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm hören
wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging
trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater
den Tag über Schuhe flickte. »Ich will doch sehen«,
dachte er bei sich, »ob er mich auch nicht kennen will,
unter die Türe will ich mich stellen und mit ihm sprechen.«
Als er an der Bude des Schusters angekommen war, stellte er
sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war
so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn
gar nicht sah; als er aber zufällig einen Blick nach der
Türe warf, ließ er Schuhe, Draht und Pfriem auf die
Erde fallen und rief mit Entsetzen: »Um Gottes willen,
was ist das, was ist das!«
»Guten Abend, Meister!« sprach der Kleine, indem
er vollends in den Laden trat. »Wie geht es Euch?«
»Schlecht, schlecht, kleiner Herr!« antwortete
der Vater zu Jakobs großer Verwunderung; denn er schien
ihn auch nicht zu kennen. »Das Geschäft will mir
nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt alt; doch
ist mir ein Geselle zu teuer.«
»Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach
und nach an die Hand gehen könnte bei der Arbeit?«
forschte der Kleine weiter.
»Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte
jetzt ein schlanker, gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein,
der mir tüchtig unter die Arme greifen könnte. Ha,
das müßte ein Leben sein! Schon als er zwölf
Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und
verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm
war er auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt,
daß ich bald nicht mehr geflickt, sondern nichts als Neues
geliefert hätte! Aber so geht's in der Welt!«
»Wo ist denn aber Euer Sohn?« fragte Jakob mit
zitternder Stimme seinen Vater.
»Das weiß Gott«, antwortete er, »vor
sieben Jahren, ja, so lange ist's jetzt her, wurde er uns vom
Markte weg gestohlen.« 'Vor sieben Jahren!« rief
Jakob mit Entsetzen.
»Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß
noch wie heute, wie mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend,
das Kind sei den ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie aber
überall geforscht und gesucht und es nicht gefunden. Ich
habe es immer gedacht und gesagt, daß es so kommen würde;
er Jakob war ein schönes Kind, das muß man sagen;
da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die
Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen
in vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal
reichlich beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! Die Stadt ist
groß; viele schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den
Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein altes,
häßliches Weib auf den Markt, feilscht um Früchte
und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es
nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt
ihr den Jungen mit und - hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen.«
»Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?«
»Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen
ihn ausrufen, wir gingen von Haus zu Haus und fragten; manche
hatten den hübschen Jungen gekannt und liebgewonnen und
suchten jetzt mit uns, alles vergeblich. Auch die Frau, welche
das Gemüse gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein
steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte,
es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen
sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme,
um sich allerlei einzukaufen.«
So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich
und zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen
aber wurde es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß
er nämlich nicht geträumt, sondern daß er sieben
Jahre bei der bösen Fee als Eichhörnchen gedient habe.
Zorn und Gram erfüllten sein Herz so sehr, daß es beinahe
zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte ihm die Alte
gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür? Daß
er Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er
ein Zimmer mit gläsernem Fußboden reinmachen konnte?
Daß er von den Meerschweinchen alle Geheimnisse der Küche
gelernt hatte? Er stand eine gute Weile so da und dachte über
sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein Vater: »Ist
Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger
Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder«, setzte er lächelnd
hinzu, »vielleicht ein Futteral für Eure Nase?«
»Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?« fragte Jakob,
»warum sollte ich denn ein Futteral dazu brauchen?«
»Nun«, entgegnete der Schuster, »jeder nach
seinem Geschmack; aber das muß ich Euch sagen, hätte
ich diese schreckliche Nase, ein Futteral ließ ich mir
darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da
habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich
würde man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie
gut wäret Ihr verwahrt, kleiner Herr; so, weiß ich
gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem Türpfosten,
an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet.«
Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase,
sie war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die
Alte auch seine Gestalt verwandelt! Darum kannte ihn also die
Mutter nicht? Darum schalt man ihn einen häßlichen
Zwerg?! »Meister!« sprach er halb weinend zu dem
Schuster, »habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin
ich mich beschauen könnte?«
»Junger Herr«, erwiderte der Vater mit Ernst, »Ihr
habt nicht gerade eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen
könnte, und Ihr habt nicht Ursache, alle Stunden in den
Spiegel zu gucken. Gewöhnt es Euch ab, es ist besonders
bei Euch eine lächerliche Gewohnheit.«
»Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen«,
rief der Kleine, »gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!«
»Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen;
meine Frau hat ein Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo
sie es verborgen. Müßt Ihr aber durchaus in den Spiegel
gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban, der
Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer
Kopf; gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!«
Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude
hinaus, schloß die Tür hinter ihm zu und setzte sich
wieder zur Arbeit. Der Kleine aber ging sehr niedergeschlagen
über die Straße zu Urban, dem Barbier, den er noch
aus früheren Zeiten wohl kannte. »Guten Morgen, Urban«,
sprach er zu ihm, »ich komme, Euch um eine Gefälligkeit
zu bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel
schauen!«
»Mit Vergnügen, dort steht er«, rief der Barbier
lachend, und seine Kunden, denen er den Bart scheren sollte,
lachten weidlich mit. »Ihr seid ein hübsches Bürschchen,
schlank und fein, ein Hälschen wie ein Schwan, Händchen
wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann
es nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf,
das ist wahr; aber beschauet Euch immer! Man soll nicht von
mir sagen, ich habe Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen
lassen.«
So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter fällte
die Baderstube. Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten
und hatte sich beschaut. Tränen traten ihm in die Augen.
»Ja, so konntest du freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen,
liebe Mutter«, sprach er zu sich, »so war er nicht
anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du gerne mit ihm prangtest
vor den Leuten!« Seine Augen waren klein geworden wie
die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über
Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen
worden zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und
nur mit den größten Schmerzen konnte er ihn rechts
und links bewegen. Sein Körper war noch so groß als
vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt war; aber wenn
andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe
wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die
Brust waren weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner,
aber sehr dick gefällter Sack; dieser dicke Oberleib saß
auf kleinen, schwachen Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen
schienen, aber um so größer waren die Arme, die ihm
am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie die
eines wohlgewachsenen Mannes, seine Hände waren grob und
braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie
recht ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne
daß er sich bückte. So sah er aus, der kleine Jakob,
zum mißgestalteten Zwerg war er geworden.
Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib
an die Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er
damals an ihr getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen
Finger, alles hatte sie ihm angetan, und nur den langen, zitternden
Hals hatte sie gänzlich weggelassen.
»Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?«
sagte der Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete.
»Wahrlich, wenn man sich dergleichen träumen lassen
wollte, so komisch könnte es einem im Traume nicht vorkommen.
Doch ich will Euch einen Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein
Barbierzimmer ist zwar sehr besucht, aber doch seit neuerer
Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das kommt daher, weil mein
Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen Riesen aufgefunden
hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein Riese zu werden,
ist gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr, ja,
das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, kleiner
Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt
Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe
und ladet die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum,
reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen
uns beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem
Riesen, und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld.«
Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag,
als Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber mußte
er sich nicht diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte
dem Barbier daher ganz ruhig, daß er nicht Zeit habe zu
dergleichen Diensten, und ging weiter.
Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt,
so hatte sie doch seinem Geist nichts anhaben können, das
fühlte er wohl; denn er dachte und fühlte nicht mehr,
wie er vor sieben Jahren getan; nein, er glaubte in diesem Zeitraum
weiser, verständiger geworden zu sein; er trauerte nicht
um seine verlorene Schönheit, nicht über diese häßliche
Gestalt, sondern nur darüber, daß er wie ein Hund
von der Türe seines Vaters gejagt werde. Darum beschloß
er, noch einen Versuch bei seiner Mutter zu machen.
Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören.
Er erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe
gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner
Kindheit, erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen
gedient habe bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er
sie damals getadelt. Die Frau des Schusters wußte nicht,
was sie denken sollte. Alles traf zu, was er ihr von seiner
Kindheit erzählte, aber wenn er davon sprach, daß
er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da sprach
sie: »Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen«,
und wenn sie ihn ansah, so verabscheute sie den häßlichen
Zwerg und glaubte nicht, daß dies ihr Sohn sein könne.
Endlich hielt sie es fürs beste, mit ihrem Manne darüber
zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen und hieß
ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters.
»Sieh einmal«, sprach sie zu diesem, »der
Mensch da will unser verlorner Jakob sein. Er hat mir alles
erzählt, wie er uns vor sieben Jahren gestohlen wurde und
wie er von einer Fee verzaubert worden sei.«
»So?« unterbrach sie der Schuster mit Zorn, »hat
er dir dies erzählt? Warte, du Range! Ich habe ihm alles
erzählt noch vor einer Stunde, und jetzt geht er hin, dich
so zu foppen! Verzaubert bist du worden, mein Söhnchen?
Warte doch, ich will dich wieder entzaubern.« Dabei nahm
er ein Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte,
sprang auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken
und auf die langen Arme, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie
und weinend davonlief.
In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige
Seelen, die einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches
an sich trägt, unterstützen. Daher kam es, daß
der unglückliche Zwerg den ganzen Tag ohne Speise und Trank
blieb und abends die Treppen einer Kirche, so hart und kalt
sie waren, zum Nachtlager wählen mußte.
Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der
Sonne erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie
er sein Leben fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen.
Er fühlte sich zu stolz, um als Aushängeschild eines
Barbiers zu dienen, er wollte nicht zu einem Possenreißer
sich verdingen und sich um Geld sehen lassen. Was sollte er
anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, daß er als Eichhörnchen
große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; er glaubte
nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit
manchem Koch aufnehmen könne; er beschloß, seine
Kunst zu benützen.
Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der
Morgen ganz heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche
und verrichtete sein Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der
Herzog, der Herr des Landes, o Herr, war ein bekannter Schlemmer
und Lecker, der eine gute Tafel liebte und seine Köche
in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem Palast begab sich der
Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, fragten
die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott
mit ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister.
Sie lachten und führten ihn durch die Vorhöfe, und
wo er hinkam, blieben die Diener stehen, schauten nach ihm,
lachten weidlich und schlossen sich an, so daß nach und
nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die Treppe
des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre Striegel
weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter
vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte
und trieb sich, es war ein Gefühl, als sei der Feind vor
den Toren, und das Geschrei: »Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt
ihr den Zwerg gesehen?« fällte die Lüfte.
Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht,
eine ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. »Um
des Himmels willen, ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm!
Wisset ihr nicht, daß der Herr noch schläft?«
Und dabei schwang er die Geißel und ließ sie unsanft
auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhalter
niederfallen.
»Ach, Herr!« riefen sie, »seht Ihr denn nicht?
Da bringen wir einen Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen
gesehen.«
Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut
aufzulachen, als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete,
durch Lachen seiner Würde zu schaden. Er trieb daher mit
der Peitsche die übrigen hinweg, führte den Kleinen
ins Haus und fragte nach seinem Begehr. Als er hörte, jener
wolle zum Küchenmeister, erwiderte er - »Du irrst
dich, mein Söhnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst
du; du willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?«
»Nein, Herr!« antwortete der Zwerg. »Ich
bin ein geschickter Koch und erfahren in allerlei seltenen Speisen;
wollet mich zum Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann
er meine Kunst brauchen.«
»Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens
bist du doch ein unbesonnener Junge. In die Küche! Als
Leibzwerg hättest du keine Arbeit gehabt und Essen und
Trinken nach Herzenslust und schöne Kleider. Doch, wir
wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so weit reichen,
als ein Mundkoch des Herren nötig hat, und zum Küchenjungen
bist du zu gut.« Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher
des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer
des Oberküchenmeisters.
»Gnädiger Herr«, sprach dort der Zwerg und verbeugte
sich so tief, daß er mit der Nase den Fußteppich berührte,
»brauchet Ihr keinen geschickten Koch?« Der Oberküchenmeister
betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, brach
dann in lautes Lachen aus und sprach: »Wie?« rief
er, »du ein Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig,
daß du nur auf einen hinaufschauen kannst, wenn du dich
auch auf die Zehen stellst und den Kopf recht aus den Schultern
herausarbeitest? O lieber Kleiner! Wer dich zu mir geschickt
hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat dich zum Narren
gehabt.« So sprach der Oberküchenmeister und lachte
weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und
alle Diener, die im Zimmer waren.
Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
»Was liegt an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup
und Wein, an Mehl und Gewürze in einem Hause, wo man dessen
genug hat?« sprach er. »Gebet mir irgendeine leckerhafte
Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was ich dazu brauche,
und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, und Ihr
sollet sagen müssen, er ist ein Koch nach Regel und Recht.«
Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es
war wunderlich anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen
Äuglein hervorblitzte, wie seine lange Nase sich hin und
her schlängelte und seine dünnen Spinnenfinger seine
Rede begleiteten.
»Wohlan!« rief der Küchenmeister und nahm
den Aufseher des Palastes unter dem Arme, »wohlan, es
sei um des Spaßes willen; lasset uns zur Küche gehen!«
Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen
endlich in die Küche. Es war dies ein großes, weitläufiges
Gebäude, herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten
beständig Feuer; ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter
diente, floß mitten durch sie, in Schränken von Marmor
und köstlichem Holz waren die Vorräte aufgestellt,
die man immer zur Hand haben mußte, und zur Rechten und
Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert
war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst
im Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen
erfunden. Küchenbedienstete aller Art liefen umher und
rasselten und hantierten mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln
und Schaumlöffeln; als aber der Oberküchenmeister
in die Küche eintrat, blieben sie alle regungslos stehen,
und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein
rieseln. »Was hat der Herr heute zum Frühstück
befohlen?« fragte der Meister den ersten Frühstücksmacher,
einen alten Koch. »Herr, die dänische Suppe hat er
geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen.«
»Gut«, sprach der Küchenmeister weiter, »hast
du gehört, was der Herr speisen will? Getraust du dich,
diese schwierigen Speisen zu bereiten? Die Klößchen
bringst du auf keinen Fall heraus, das ist ein Geheimnis.«
»Nichts leichter als dies«, erwiderte zu allgemeinem
Erstaunen der Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen
oft gemacht; »nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe
die und die Kräuter, dies und jenes Gewürz, Fett von
einem wilden Schwein, Wurzeln und Eier; zu den Klößchen
aber«, sprach er leiser, daß es nur der Küchenmeister
und der Frühstücksmacher hören konnten, »zu
den Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas
Wein, Entenschmalz, Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost
heißt.«
»Hai Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?«
rief der Koch mit Staunen. »Alles bis auf ein Haar hat
er gesagt, und das Kräutlein Magentrost haben wir selbst
nicht gewußt; ja, das muß es noch angenehmer machen.
O du Wunder von einem Koch!«
»Das hätte ich nicht gedacht«, sagte der Oberküchenmeister,
»doch lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen,
die er verlangt, Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück
bereiten.«
Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde
zu; aber da fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase
bis an den Herd reichen konnte. Man setzte daher ein paar Stühle
zusammen, legte eine Marmorplatte darüber und lud den kleinen
Wundermann ein, sein Kunststück zu beginnen. In einem großen
Kreise standen die Köche, Küchenjungen, Diener und
allerlei Volk umher und sahen zu und staunten, wie ihm alles
so flink und fertig von der Hand ging, wie er alles so reinlich
und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung fertig war,
befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau
so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er
an zu zählen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als
er fünfhundert gezählt hatte, rief er: »Halt!«
Die Töpfe wurden weggesetzt, und der Kleine lud den Küchenmeister
ein, zu kosten.
Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen
goldenen Löffel reichen, spülte ihn im Bach und überreichte
ihn dem Oberküchenmeister. Dieser trat mit feierlicher
Miene an den Herd, nahm von den Speisen, kostete, drückte
die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge und
sprach dann: »Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich!
Wollet Ihr nicht auch ein Löffelchen zu Euch nehmen, Aufseher
des Palastes?«
Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und
war vor Vergnügen und Lust außer sich. »Eure
Kunst in Ehren, lieber Frühstücksmacher, Ihr seid
ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt Ihr weder die Suppe
noch die Hamburger Klöße machen können!«
Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg
ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: »Kleiner! Du bist Meister
in der Kunst, ja, das Kräutlein Magentrost, das gibt allem
einen ganz eigenen Reiz.«
In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die
Küche und berichtete, daß der Herr das Frühstück
verlange. Die Speisen wurden nun auf silberne Platten gelegt
und dem Herzog zugeschickt; der Oberküchenmeister aber
nahm den Kleinen in sein Zimmer und unterhielt sich mit ihm.
Kaum waren sie aber halb so lange da, als man ein Paternoster
spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o Herr, und dauert
nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so kam
schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn.
Er kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten.
Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt,
was auf den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben
den Bart ab, als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. »Höre,
Küchenmeister«, sprach er, »ich bin mit deinen
Köchen bisher immer sehr zufrieden gewesen; aber sage mir,
wer hat heute mein Frühstück bereitet? So köstlich
war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage
an, wie er heißt, der Koch, daß wir ihm einige Dukaten
zum Geschenk schicken.« »Herr, das ist eine wunderbare
Geschichte«, antwortete der Oberküchenmeister und
erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg gebracht,
der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles begeben.
Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg
vor sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme.
Da konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, daß
er verzaubert worden sei und früher als Eichhörnchen
gedient habe; doch blieb er bei der Wahrheit, indem er erzählte,
er sei jetzt ohne Vater und Mutter und habe bei einer alten
Frau kochen gelernt. Der Herzog fragte nicht weiter, sondern
ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt seines neuen Kochs.
»Willst du bei mir bleiben«, sprach er, »so
will ich dir jährlich fünfzig Dukaten, ein Festkleid
und noch überdies zwei Paar Beinkleider reichen lassen.
Dafür mußt du aber täglich mein Frühstück
selbst bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht
werden soll, und Oberhaupt dich meiner Küche annehmen.
Da jeder in meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt,
so sollst du Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters
bekleiden.«
Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in
Frankenland, küßte ihm die Füße und versprach,
ihm treu zu dienen.
So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte
seinem Amt Ehre. Denn man kann sagen, daß der Herzog ein
ganz anderer Mann war, während der Zwerg Nase sich in seinem
Hause aufhielt. Sonst hatte es ihm oft beliebt, die Schüsseln
oder Platten, die man ihm auftrug, den Köchen an den Kopf
zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf er im
Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfaß, der nicht weich
genug geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel
und drei Tage zu Bett liegen mußte. Der Herzog machte
zwar, was er im Zorn getan, durch einige Hände voll Dukaten
wieder gut, aber dennoch war nie ein Koch ohne Zittern und Zagen
mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit der Zwerg im Hause war,
schien alles wie durch Zauber umgewandelt. Der Herr aß
jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der Kunst
seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog
er nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich,
war leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter.
Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister
und den Zwerg Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen
links zu sich und schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige
Bissen der köstlichsten Speisen in den Mund, eine Gnade,
welche sie beide wohl zu schätzen wußten.
Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich
Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen,
und einige der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht
beim Herzog, daß ihre Diener in der Küche beim Zwerg
Unterrichtsstunden genießen durften, was nicht wenig Geld
eintrug; denn jeder zahlte täglich einen halben Dukaten.
Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu erhalten
und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ
ihnen Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht
ihrer Köche zahlen mußten.
So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem
Wohlleben und Ehre, und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte
ihn; so lebte er, ohne etwas Merkwürdiges zu erfahren,
bis sich folgender Vorfall ereignete. Der Zwerg Nase war besonders
geschickt und glücklich in seinen Einkäufen. Daher
ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer selbst auf den
Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen. Eines
Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach
schweren, fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte. Er war
musternd schon einigemal auf und ab gegangen. Seine Gestalt,
weit entfernt, hier Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht;
denn man erkannte ihn als den berühmten Mundkoch des Herzogs,
und jede Gänsefrau fühlte sich glücklich, wenn
er ihr die Nase zuwandte.
Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau
sitzen, die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen
ihre Ware anpries; zu dieser trat er und maß und wog ihre
Gänse. Sie waren, wie er sie wünschte, und er kaufte
drei samt dem Käfig, lud sie auf seine breiten Schultern
und trat den Rückweg an. Da kam es ihm sonderbar vor, daß
nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und schrien, wie
rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still
und in sich gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und
ächzte wie ein Mensch - »Die ist halbkrank«,
sprach er vor sich hin, »ich muß eilen, daß
ich sie umbringe und zurichte.« Aber die Gans antwortete
ganz deutlich und laut:
»Stichst du mich, So beiß' ich dich. Drückst
du mir die Kehle ab, Bring' ich dich ins frühe Grab.«
Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder,
und die Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte.
»Ei der Tausend!« rief Nase. »Sie kann sprechen,
Jungfer Gans? Das hätte ich nicht gedacht. Na, sei Sie
nur nicht ängstlich! Man weiß zu leben und wird einem
so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber ich wollte wetten,
Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. War ich ja
selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen.«
»Du hast recht«, erwiderte die Gans, »wenn du
sagst, ich sei nicht in dieser schmachvollen Hülle geboren
worden. Ach, an meiner Wiege wurde es mir nicht gesungen, daß
Mimi, des großen Wetterbocks Tochter, in der Küche
eines Herzogs getötet werden soll!« »Sei Sie
doch ruhig, liebe Jungfer Mimi«, tröstete der Zwerg.
»So wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister
Seiner Durchlaucht bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich
will Ihr in meinen eigenen Gemächern einen Stall anweisen,
Futter soll Sie genug haben, und meine freie Zeit werde ich
Ihrer Unterhaltung widmen; den übrigen Küchenmenschen
werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei besonderen
Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich
Gelegenheit findet, setze ich Sie in Freiheit.«
Die Gans dankte ihm mit Tränen; der Zwerg aber tat, wie
er versprochen, schlachtete die zwei anderen Gänse, für
Mimi aber baute er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie
für den Herzog ganz besonders zuzurichten. Er gab ihr auch
kein gewöhnliches Gänsefutter, sondern versah sie
mit Backwerk und süßen Speisen.
So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten
und sie zu trösten. Sie erzählten sich auch gegenseitig
ihre Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, daß
die Gans eine Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf
der Insel Gotland lebe. Er sei in Streit geraten mit einer alten
Fee, die ihn durch Ränke und List überwunden und sie
zur Rache in eine Gans verwandelt und weit hinweg bis hierher
gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine Geschichte ebenfalls
erzählt hatte, sprach sie: »Ich bin nicht unerfahren
in «lesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen Schwestern
einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon mitteilen
durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, deine
plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein
rochst, auch einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen
mir, daß du auf Kräuter verzaubert bist, das heißt,
wenn du das Kraut auffindest, das sich die Fee bei deiner Verzauberung
gedacht hat, so kannst du erlöst werden.« Es war
dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo sollte
er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schöpfte
einige Hoffnung.
Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten
Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg
Nase vor sich kommen und sprach zu ihm: »Jetzt ist die
Zeit gekommen, wo du mir zeigen mußt, ob du mir treu dienst
und Meister deiner Kunst bist. Dieser Fürst, der bei mir
zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir am besten
und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und
ein weiser Mann. Sorge nun dafür, daß meine Tafel
täglich also besorgt werde, daß er immer mehr in
Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner Ungnade, so
lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür kannst
du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du
nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden
mußt so tu es! ich will lieber ein armer Mann werden,
als erröten vor ihm.«
So sprach der Herzog! Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig
verbeugte: »Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott der
gefällt, werde ich alles so machen, daß es diesem
Fürsten der Gutschmecker wohlgefällt.«
Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte
die Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich
selbst. Denn man sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch
und Feuer eingehüllt, und seine Stimme hallte beständig
durch das Gewölbe der Küche; denn er befahl als Herrscher
den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! Ich könnte
es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in ihren
Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen
herrlich speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang
alle die Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken
dadurch große Sehnsucht und noch größeren Hunger
in ihren Zuhörern, so daß diese unwillkürlich
die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den
Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also.
Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und
lebte herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht
weniger als fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der
Kunst des Zwerges; denn er sah Zufriedenheit auf der Stirne
seines Gastes. Am fünfzehnten Tage aber begab es sich,
daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen ließ, ihn
seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte,
wie er mit dem Zwerg zufrieden sei.
»Du bist ein wunderbarer Koch«, antwortete der
fremde Fürst, »und weißt, was anständig
essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, da ich hier bin,
nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich bereitet.
Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die Königin
der Speisen, die Pastete Souzeraine?«
Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser Pastetenkönigin
nie gehört; doch faßte er sich und antwortete: »O
Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten
an diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn
womit sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage
des Scheidens als mit der Königin der Pasteten?«
»So?« entgegnete der Herzog lachend. »Und
bei mir wolltest du wohl warten bis an meinen Tod, um mich dann
noch zu begrüßen? Denn auch mir hast du die Pastete
noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen anderen Scheidegruß;
denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel setzen.«
»Es sei, wie du sagst, Herr!« antwortete der Zwerg
und ging. Aber er ging nicht vergnügt; denn der Tag seiner
Schande und seines Unglücks war gekommen. Er wußte
nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er ging daher in seine
Kammer und weinte über sein Schicksal.
Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte,
zu ihm und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. »Stille
deine Tränen«, antwortete sie, als sie von der Pastete
Souzeraine gehört, »dieses Gericht kam oft auf meines
Vaters Tisch, und ich weiß ungefähr, was man dazu
braucht; du nimmst dies und jenes, so und so viel, und wenn
es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu nötig,
die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben.« So
sprach Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete
den Tag, an welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte
sich an, die Königin der Pasteten zuzurichten. Er machte
zuerst einen kleinen Versuch, und siehe, es schmeckte trefflich,
und der Oberküchenmeister, dem er davon zu kosten gab,
pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst.
Den anderen Tag setzte er die Pastete in größerer Form
auf und schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er
sie mit Blumenkränzen geschmeckt hatte, auf die Tafel. Er
selbst aber zog sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal.
Als r eintrat, war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt,
die Pastete zu zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein
dem Herzog und seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen
tüchtigen Biß hinein, schlug die Augen auf zur Decke
und srach, nachdem er geschluckt hatte: »Ah, ah, ah! Mit
Recht nennt man dies die Königin der Pasteten; aber mein
Zwerg ist auch der König aller Köche! Nicht also, lieber
Freund?« Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich,
kostete und prüfte aufmerksam und lächelte dabei höhnisch
und geheimnisvoll. »Das Ding ist recht artig gemacht«,
antwortete er, indem er den Teller hinwegrückte, »aber
die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir
wohl gedacht.«
Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete
vor Beschämung. »Hund von einem Zwerg!« rief
er, »wie wagst du es, deinem Herrn dies anzutun? Soll
ich dir deinen großen Kopf abhacken lassen zur Strafe
für deine schlechte Kocherei?«
»Ach, Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht
doch zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß
nichts fehlen!« so sprach der Zwerg und zitterte.
»Es ist eine Lüge, du Bube!« erwiderte der
Herzog und stieß ihn mit dem Fuße von sich. »Mein
Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich selbst
will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete!«
»Habt Mitleiden!« rief der Kleine und rutschte
auf den Knien zu dem Gast, dessen Füße er umfaßte.
»Saget, was fehlt in dieser Speise, daß sie Eurem
Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer Handvoll
Fleisch und Mehl.«
»Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase«,
antwortete der Fremde mit Lachen, »das habe ich mir schon
gestern gedacht, daß du diese Speise nicht machen kannst
wie mein Koch . Wisse, es fehlt ein Kräutlein, das man
hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; ohne dieses
bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie nie
essen wie ich.«
Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. »Und doch
werde ich sie essen«, rief er mit funkelnden Augen, »denn
ich schwöre bei meiner fürstlichen Ehre: Entweder
zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr sie verlangst - oder
den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf dem Tor meines
Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir vierundzwanzig
Stunden Zeit.«
So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein
Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und daß
er sterben müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört
. »Ist es nur dies«, sprach sie, »da kann
ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle Kräuter
kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer anderen Zeit
des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade
Neumond, und um diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch,
sage an, sind alte Kastanienbäume in der Nähe des
Palastes?«
»O ja!« erwiderte Nase mit leichterem Herzen. »Am
See, zweihundert Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe;
doch warum diese?«
»Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein«,
sagte Mimi, »darum laß uns keine Zeit versäumen
und suchen, was du brauchst; nimm mich auf deinen Arm und setze
mich im Freien nieder; ich will dir suchen.«
Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes.
Dort aber streckte der Türhüter das Gewehr vor und
sprach: »Mein guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem
Hause darfst du nicht, ich habe den strengsten Befehl darüber.«
»Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?«
erwiderte der Zwerg. »Sei so gut und schicke einen deiner
Gesellen zum Aufseher des Palastes und frage, ob ich nicht in
den Garten gehen und Kräuter suchen dürfe?«
Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn
der Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus
zu denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen
war, setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor
ihm her dem See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr
nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige
Hoffnung; fand sie das Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß
fest, er stürzte sich dann lieber in den See, als daß
er sich köpfen ließ. Die Gans suchte vergebens, sie
wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem Schnabel
jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie
fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der
Abend dunkler und die Gegenstände umher waren schwerer
zu erkennen.
Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und
plötzlich rief er: »Siehe, siehe, dort über
dem See steht noch ein großer, alter Baum; laß uns
dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein Glück.«
Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell
seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen
Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen;
aber da blieb plötzlich die Gans stille stehen, schlug
vor Freuden mit den Flügeln, fuhr dann schnell mit dem
Kopf ins hohe Gras und pflückte etwas ab, das sie dem erstaunten
Nase zierlich mit dem Schnabel überreichte und sprach:
»Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine
Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann.«
Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer
Duft strömte ihm daraus entgegen, der ihn unwillkürlich
an die Szene seiner Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blätter
waren bläulichgrün, sie trugen eine brennend rote Blume
mit gelbem Rande.
»Gelobt sei Gott!« rief er endlich aus. »Welches
Wunder! Wisse, ich glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich
aus einem Eichhörnchen in diese schändliche Gestalt
umwandelte; soll ich den Versuch machen?«
»Noch nicht«, bat die Gans. »Nimm von diesem
Kraut eine Handvoll mit dir, laß uns auf dein Zimmer gehen
und dein Geld, und was du sonst hast, zusammenraffen, und dann
wollen wir die Kraft des Krautes versuchen!« Sie taten
also und gingen auf seine Kammer zurück, und das Herz des
Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig
oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und
Schuhe zusammen in ein Bündel geknüpft hatte, sprach
er: »So es Gott gefällig ist, werde ich diese Bürde
loswerden«, steckte seine Nase tief in die Kräuter
und sog ihren Duft ein.
Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte,
wie sich sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab
auf seine Nase und sah sie kleiner und kleiner werden, sein
Rücken und seine Brust fingen an, sich zu ebnen, und seine
Beine wurden länger.
Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. »Ha! Was
du groß, was du schön bist!« rief sie. »Gott
sei gedankt, es ist nichts mehr an dir von allem, was du vorher
warst!«
Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und
betete. Aber seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen
Dank er der Gans schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz,
zu seinen Eltern zu gehen; doch besiegte er aus Dankbarkeit
diesen Wunsch und sprach: »Wem anders als dir habe ich
es zu danken, daß ich mir selbst wiedergeschenkt bin?
Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer gefunden, hätte
also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht gar unter
dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will
es dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er,
der erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern
können.« Die Gans vergoß Freudentränen
und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam glücklich und unerkannt
mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg nach
dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu.
Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre
Reise glücklich vollendeten, daß Wetterbock seine
Tochter entzauberte und den Jakob, mit Geschenken beladen, entließ,
daß er in seine Vaterstadt zurückkam und daß
seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen
ihren verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken,
die er von Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und
reich und glücklich wurde?
Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung
aus dem Palaste des Herzogs große Unruhe entstand; denn
als am anderen Tage der Herzog seinen Schwur erfüllen und
dem Zwerg, wenn er die Kräuter nicht gefunden hätte,
den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends zu finden;
der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich
entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben,
und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch
entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten,
der in der Geschichte unter dem Namen »Kräuterkrieg«
wohlbekannt ist; es wurde manche Schlacht geschlagen, aber am
Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns
den »Pastetenfrieden«, weil beim Versöhnungsfest
durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die Königin
der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog
trefflich schmecken ließ.
So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen;
und dies, o Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase.
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