Wilhelm Hauff
Kalif
Storch
Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal
an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa;
er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heißer
Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus.
Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier
und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und
strich sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt
hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, daß es ihm recht
wohl war. Um diese Stunde konnte man gar gut mit ihm reden,
weil er da immer recht mild und leutselig war, deswegen besuchte
ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese Zeit.
An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich
aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein
wenig aus dem Mund und sprach: »Warum machst du ein so
nachdenkliches Gesicht, Großwesir?«
Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die
Brust, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: »Herr,
ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht,
aber da drunten am Schloß steht ein Krämer, der hat
so schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht
viel überflüssiges Geld zu haben.«
Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine
Freude gemacht hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven
hinunter, um den Krämer heraufzuholen. Bald kam der Sklave
mit dem Krämer zurück. Dieser war ein kleiner, dicker
Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug
einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und
Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der
Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte
endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für
die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen
Kasten schon wieder zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine
Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der Krämer
zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem
Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der
Kalif noch Mansor lesen konnte. »Ich bekam einmal diese
zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in Mekka auf der
Straße fand«, sagte der Krämer, »Ich
weiß nicht, was sie enthalten; euch stehen sie um geringen
Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen.«
Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte
hatte, wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und
Dose und entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte,
er möchte gerne wissen, was die Schrift enthalte, und,
fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern könnte.
»Gnädigster Herr und Gebieter«, antwortete
dieser, »an der großen Moschee wohnt ein Mann, er
heißt Selim, der Gelehrte, der versteht alle Sprachen,
laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen
Züge.«
Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. »Selim«,
sprach zu ihm der Kalif, »Selim, man sagt, du seiest sehr
gelehrt; guck einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen
kannst; kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid
von mir, kannst du es nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche
und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich
dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt.«
Selim verneigte sich und sprach: »Dein Wille geschehe,
o Herr!« Lange betrachtete er die Schrift, plötzlich
aber rief er aus: »Das ist Lateinisch, o Herr, oder ich
laß mich hängen.« »Sag, was drinsteht«,
befahl der Kalif, »wenn es Lateinisch ist.«
Selim fing an zu übersetzen: »Mensch, der du dieses
findest, preise Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver
in dieser Dose schnupft und dazu spricht: mutabor, der kann
sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache
der Tiere.
Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren,
so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber
hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht
lachest, sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus
deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.«
Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif
über die Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten
schwören, niemandem etwas von dem Geheimnis zu sagen, schenkte
ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu seinem
Großwesir aber sagte er: »Das heiß' ich gut
einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin.
Morgen früh kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander
aufs Feld, schnupfen etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen
dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen
wird!«
Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt
und sich angekleidet, als schon der Großwesir erschien,
ihn, wie er befohlen, auf dem Spaziergang zu begleiten. Der
Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel,
und nachdem er seinem Gefolge befohlen, zurückzubleiben,
machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den Weg
. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen,
spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück
zu probieren. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an
einen Teich zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich
Störche, gesehen habe, die durch ihr gravitätisches
Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit
ihm dem Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen
Storch ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und
hier und da etwas vor sich hinklappernd. Zugleich sahen sie
auch weit oben in der Luft einen anderen Storch dieser Gegend
zuschweben.
»Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr«,
sagte er Großwesir, »wenn nicht diese zwei Langfüßler
ein schönes Gespräch miteinander führen werden.
Wie wäre es, wenn wir Störche würden?«
»Wohl gesprochen!« antwortete der Kalif. »Aber
vorher wollen wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch
wird. - Richtig! Dreimal gen Osten geneigt und mutabor gesagt,
so bin ich wieder Kalif und du Wesir. Aber nur um Himmels willen
nicht gelacht, sonst sind wir verloren!«
Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch
über ihrem Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen.
Schnell zog er die Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute
Prise, bot sie dem Großwesir dar, der gleichfalls schnupfte,
und beide riefen: mutabor!
Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot,
die schönen gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters
wurden unförmliche Storchfüße, die Arme wurden
zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine
Elle lang, der Bart war verschwunden, und den Körper bedeckten
weiche Federn.
»Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir«,
sprach nach langem Erstaunen der Kalif. »Beim Bart des
Propheten, so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen.«
»Danke untertänigst«, erwiderte der Großwesir,
indem er sich bückte, »aber wenn ich es wagen darf,
möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe
noch hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch
gefällig ist, daß wir unsere Kameraden dort belauschen
und erfahren, ob wir wirklich Storchisch können.«
Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte
sich mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn
zurecht und ging auf den ersten Storch zu. Die beiden neuen
Störche aber beeilten sich, in ihre Nähe zu kommen,
und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch:
»Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf
der Wiese?«
»Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir
nur ein kleines Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht
ein Viertelchen Eidechs gefällig oder ein Froschschenkelein?«
»Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich
komme auch wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll
heute vor den Gästen meines Vaters tanzen, und da will
ich mich im stillen ein wenig üben.«
Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen
durch das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach;
als sie aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand
und mit den Flügeln anmutig dazu wedelte, da konnten sich
die beiden nicht mehr halten; ein unaufhaltsames Gelächter
brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich erst
nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich zuerst
wieder: »Das war einmal ein Spaß«, rief er,
»der nicht mit Gold zu bezahlen ist; schade, daß
die Tiere durch unser Gelächter sich haben verscheuchen
lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch gesungen!«
Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen
während der Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst
deswegen dem Kalifen mit. »Potz Mekka und Medina! Das
wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben
müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich
bring' es nicht heraus.«
»Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und
dazu sprechen: mu - mu - mu -«
Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem
fort, daß ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten;
aber, o Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft
sich auch der Kalif bückte, so sehnlich auch sein Wesir
mu - mu dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden, und
der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben Störche.
Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten
gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer
Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück
konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer
hätte einem Storch geglaubt, daß er der Kalif sei,
und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die Einwohner
von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt haben?
So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich
kümmerlich von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer
langen Schnäbel nicht gut verspeisen konnten. Auf Eidechsen
und Frösche hatten sie übrigens keinen Appetit, denn
sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen
zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen
Lage war, daß sie fliegen konnten, und so flogen sie oft
auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging.
In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer
in den Straßen; aber ungefähr am vierten Tag nach
ihrer Verzauberung saßen sie auf dem Palast des Kalifen,
da sahen sie unten in der Straße einen prächtigen
Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem
goldbestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten
Pferd, umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang
ihm nach, und alle schrien: »Heil Mizra, dem Herrscher
von Bagdad!«
Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes
einander an, und der Kalif Chasid sprach: »Ahnst du jetzt,
warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist
der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur,
der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe
ich die Hoffnung nicht auf - Komm mit mir, du treuer Gefährte
meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten wandern, vielleicht,
daß an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird.«
Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend
von Medina zu.
Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die
beiden Störche hatten noch wenig Übung. »O Herr«,
ächzte nach ein paar Stunden der Großwesir, »ich
halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus; Ihr fliegt
gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten
wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen.«
Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten
im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren
schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese
Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloß
gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter den Trümmern
hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren,
zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein
Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes
Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor
stehen. »Herr und Gebieter«, flüsterte er leise,
»wenn es nur nicht töricht für einen Großwesir,
noch mehr aber für einen Storch wäre, sich vor Gespenstern
zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; denn hier
neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.«
Der Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich
ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören
schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die
Klagetöne kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel
am Flügel und bat ihn flehentlich, sich nicht in neue,
unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif,
dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug,
riß sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen
finsteren Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, die
nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein
wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe
auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. In
dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster
spärlich erleuchtet war, sah er eine große Nachteule
am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen,
runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen
zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und
seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte,
erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit
dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge,
und zu dem größten Erstaunen der beiden rief sie
in gutem menschlichem Arabisch: »Willkommen, ihr Störche!
Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung; denn durch
Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist
mir einst prophezeit worden!«
Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte
er sich mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße
in eine zierliche Stellung und sprach: »Nachteule! Deinen
Worten nach darf ich glauben, eine Leidensgefährtin in
dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, daß durch uns
deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere
Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.«
Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif sogleich
tat.
Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte,
dankte sie ihm und sagte: »Vernimm auch meine Geschichte
und höre, wie ich nicht weniger unglücklich bin als
du. Mein Vater ist der König von Indien, ich, seine einzige
unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer
Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück
gestürzt. Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte
mich zur Frau für seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der
ein hitziger Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen.
Der Elende wußte sich unter einer anderen Gestalt wieder
in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst in meinem
Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als
Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche
Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte
er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die
Ohren:
'Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren
verachtet, bis an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen
dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt.
So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.'
Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe
ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von
der Welt, selbst den Tieren ein Greuel; die schöne Natur
ist vor mir verschlossen; denn ich bin blind am Tage, und nur,
wenn der Mond sein bleiches Licht über dies Gemäuer
ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von
meinem Auge.«
Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel
wieder die Augen aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte
ihr Tränen entlockt.
Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes
Nachdenken versunken. »Wenn mich nicht alles täuscht«,
sprach er, »so findet zwischen unserem Unglück ein
geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den Schlüssel
zu diesem Rätsel?«
Die Eule antwortete ihm: »O Herr! Auch mir ahnet dies;
denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer
weisen Frau prophezeit worden, daß ein Storch mir ein
großes Glück bringen werde, und ich wüßte
vielleicht, wie wir uns retten könnten.« Der Kalif
war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. »Der
Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat«,
sagte sie, »kommt alle Monate einmal in diese Ruinen.
Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann
mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort
belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen
Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr
vergessen habt, ausspricht.«
»O, teuerste Prinzessin«, rief der Kalif, »sag
an, wann kommt er, und wo ist der Saal?«
Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: »Nehmet
es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich
Euern Wunsch erfüllen.«
»Sprich aus! Sprich aus!« schrie Chasid. »Befiehl,
es ist mir jede recht.«
»Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei
sein; dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir
seine Hand reicht.«
Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen
zu sein, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm
hinauszugehen.
»Großwesir«, sprach vor der Türe der
Kalif, »das ist ein dummer Handel; aber Ihr könntet
sie schon nehmen.«
»So«, antwortete dieser, »daß mir meine
Frau, wenn ich nach Hause komme, die Augen auskratzt? Auch bin
ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet
und könnet eher einer jungen, schönen Prinzessin die
Hand geben.«
»Das ist es eben«, seufzte der Kalif, indem er
traurig die Flügel hängen ließ, »wer sagt
dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt
eine Katze im Sack kaufen!«
Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber,
als der Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben
als die Eule heiraten wollte, entschloß er sich, die Bedingung
lieber selbst zu erfüllen. Die Eule war hocherfreut. Sie
gestand ihnen, daß sie zu keiner besseren Zeit hätten
kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die
Zauberer sich versammeln würden.
Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie
in jenen Saal zu führen; sie gingen lange in einem finsteren
Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer
ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet
ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von
der Lücke, an welcher sie standen, einen großen Saal
übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt
und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das
Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch,
mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch
zog sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen.
In einem dieser Männer erkannten die Störche jenen
Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte.
Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten
zu erzählen. Er erzählte unter anderen auch die Geschichte
des Kalifen und seines Wesirs.
»Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?«
fragte ihn ein anderer Zauberer. »Ein recht schweres lateinisches,
es heißt mutabor.«
Als die Störche an der Mauerlücke dieses hörten,
kamen sie vor Freuden beinahe außer sich. Sie liefen auf
ihren langen Füßen so schnell dem Tore der Ruine
zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif
gerührt zu der Eule: »Retterin meines Lebens und
des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das,
was du an uns getan, mich zum Gemahl an!« Dann aber wandte
er sich nach Osten. Dreimal bückten die Störche ihre
langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben hinter dem
Gebirge heraufstieg: »Mutabor!« riefen sie, im Nu
waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten
Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in
den Armen.
Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine
schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen.
Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. »Erkennt Ihr
Eure Nachteule nicht mehr?« sagte sie. Sie war es; der
Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut entzückt.
Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand
in seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern
auch seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe,
was zu ihrer Reise nötig war, und so kamen sie bald an
die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des Kalifen
großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot ausgegeben,
und das Volk war daher hocherfreut, seinen geliebten Herrscher
wiederzuhaben.
Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger
Mizra. Sie zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer
und seinen Sohn gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe
Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte,
und ließ ihn dort aufhängen. Dem Sohn aber, welcher
nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ
der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als
er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die
Dose. Eine tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen
verwandelte ihn in einen Storch. Der Kalif ließ ihn in
einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten aufstellen.
Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau,
der Prinzessin; seine vergnügtesten Stunden waren immer
die, wenn ihn der Großwesir nachmittags besuchte; da sprachen
sie dann oft von ihrem Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht
heiter war, ließ er sich herab, den Großwesir nachzuahmen,
wie er als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft, mit steifen
Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit
den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich vergeblich
nach Osten geneigt und Mu - Mu - dazu gerufen habe.
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