Hans Christian Andersen
Die
kleine Seejungfer
Weit draußen im Meere ist das Wasser
so blau wie die Blütenblätter der schönsten Kornblume,
und so klar wie das reinste Glas, aber es ist dort sehr tief,
tiefer als irgendein Ankertau reicht, viele Kirchtürme
müßten aufeinandergestellt werden, um vom Grunde
bis über das Wasser zu reicher. Dort unten wohnt das Meervolk.
Nun muß man nicht etwa glauben, daß dort nur der
nackte, weiße Sandboden sei! Nein, da wachsen die wundersamsten
Bäume und Pflanzen, deren Stiele und Blätter so geschmeidig
sind, daß sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers
rühren, als ob sie lebend wären. Alle Fische, klein
und groß, schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch,
gerade wie hier oben die Vögel in der Luft. An der allertiefsten
Stelle liegt des Meerkönigs Schloß. Die Mauern sind
aus Korallen und die langen spitzen Fenster von allerklarstem
Bernstein. Das Dach aber besteht aus Muschelschalen, die sich
öffnen und schließen, je nachdem das Wasser strömt;
das sieht prächtig aus, denn in jeder liegen strahlende
Perlen, eine einzige davon würde der Stolz einer Königskrone
sein.
Der Meerkönig dort unten war seit vielen Jahren Witwer,
aber seine alte Mutter besorgte sein Haus. Sie war eine kluge
Frau, doch recht stolz auf ihren Adel deshalb trug sie zwölf
Austern auf dem Schwanze während die anderen Vornehmen
nur sechs tragen durften.-Sonst verdiente sie großes Lob,
besonders weil sie die kleinen Meerprinzessinnen, ihre Enkelinnen,
so liebte. Das waren sechs prächtige Kinder, aber die jüngste
war die schönste von allen. Ihre Haut war so klar und zart
wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefste See,
aber ebenso wie alle die anderen hatte sie keine Füße.
Ihr Körper endete in einem Fischschwanz.
Den lieben langen Tag durften sie unten im Schlosse, wo lebendige
Blumen aus den Wänden wuchsen, spielen. Die großen
Bernsteinfenster wurden aufgemacht, und dann schwammen die Fische
zu ihnen herein, gerade wie bei uns die Schwalben hereinfliegen
wenn wir die Fenster aufmachen. Aber die Fische schwammen geradeswegs
auf die kleinen Prinzessinnen zu, fraßen aus ihren Händen
und ließen sich streicheln.
Draußen vor dem Schlosse war ein großer Garten
mit feuerroten und dunkelblauen Bäumen, die Früchte
strahlten wie Gold und die Blumen wie brennendes Feuer, indem
sie fortwährend Stengel und Blätter bewegten. Der
Boden selbst war der feinste Sand aber blau wie Schwefelflamme.
Über dem Ganzen dort unten lag ein seltsamer blauer Schein,
man hätte eher glauben mögen, daß man hoch oben
in der Luft stände und nur Himmel über und unter sich
sähe, als daß man auf dem Meeresgrunde sei. Bei Windstille
konnte man die Sonne sehen, sie erschien wie eine Purpurblume
aus deren Kelche alles Licht strömte.
Jede der kleinen Prinzessinnen hatte ihren kleinen Fleck im
Garten, wo sie graben und pflanzen konnte, ganz wie sie wollte.
Eine gab ihrem Blumenbeet die Gestalt eines Walfisches, einer
anderen erschien es hübscher, daß das ihre einem
Meerweiblein glich, aber die Jüngste machte ihr Beet ganz
rund wie die Sonne und hatte nur Blumen darauf, die so rot wie
diese leuchteten. Sie war ein seltsames Kind, still und nachdenklich,
und während die anderen Schwestern sich mit den merkwürdigsten
Sachen, die aus gestrandeten Schiffen genommen waren, putzten,
wollte sie nur, außer ihren rosenroten Blumen, die der
Sonne dort oben glichen, ein schönes Marmorbild haben.
Es war ein herrlicher Knabe, aus weißem, klarem Stein
gehauen, der beim Stranden auf den Meeresboden gesunken war.
Sie pflanzte neben dem Bilde eine rosenrote Trauerweide, die
prächtig wuchs und mit ihren frischen Zweigen darüber
hing bis auf den blauen Sandboden hinab, wo der Schatten sich
violett färbte und gleich den Zweigen in sanfter Bewegung
war; es sah aus, als ob die Spitze und die Wurzeln miteinander
spielten, als ob sie sich küssen wollten.
Sie kannte keine größere Freude, als von der Menschenwelt
über ihr zu hören, die alte Großmutter mußte
ihr alles erzählen, was sie wußte von den Schiffen
und Städten, Menschen und Tieren. Ganz besonders wunderbar
und herrlich erschien es ihr, daß oben auf der Erde die
Blumen dufteten, denn das taten sie auf dem Meeresboden nicht,
und daß die Wälder grün waren und die Fische,
die man dort auf den Zweigen sieht, so laut und lieblich singen
konnten, daß es eine Lust war. Es waren die kleinen Vögel,
die die Grobmutter Fische nannte, denn sonst hätten es
die Kinder nicht verstehen können, da sie nie einen Vogel
gesehen hatten.
"Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt,"
sagte die Grobmutter, "so werdet Ihr Erlaubnis bekommen,
aus dem Meere emporzutauchen, im Mondschein auf den Klippen
zu sitzen und die großen Schiffe vorbeisegeln zu sehen,
auch die Wälder und Städte sollt Ihr dann sehen!"
Im nächsten Jahre wurde die eine von den Schwestern fünfzehn
Jahre, aber die anderen, die eine war immer ein Jahr jünger
als die andere, die Jüngste mußte also noch fünf
lange Jahre warten, bevor sie vom Meeresgrund aufsteigen und
sehen konnte, wie es bei uns aussieht. Aber die eine versprach
der anderen zu erzählen, was sie gesehen und am ersten
Tage am schönsten gefunden hätte denn ihre Grobmutter
erzählte ihnen nicht genug, da war noch so vieles, worüber
sie Bescheid wissen mußten.
Keine war so sehnsuchtsvoll, wie die Jüngste, gerade sie,
die am längsten Zeit zu warten hatte und die so still und
gedankenvoll war. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster
und sah hinauf durch das dunkelblaue Wasser, wo die Fische mit
ihren Flossen und Schwänzen einherruderten. Mond und Sterne
konnte sie sehen; zwar leuchteten sie nur ganz bleich, aber
durch das Wasser sahen sie viel größer aus, als für
unsere Augen; glitt es dann gleich einer schwarzen Wolke unter
ihnen dahin, so wußte sie, daß es entweder ein Walfisch
war, der über ihr schwamm, oder auch ein Schiff mit vielen
Menschen; die dachten gewiß nicht daran, daß eine
liebliche kleine Seejungfer unten stand und ihre weißen
Hände gegen den Kiel emporstrecken.
Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt
und durfte zur Meeresoberfläche aufsteigen.
Als sie zurückkam, wußte sie hundert Dinge zu erzählen,
das herrlichste jedoch, sagte sie, wäre, im Mondschein
auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen und zu der großen
Stadt dicht bei der Küste hinüberzuschauen, wo die
Lichter blinkten wie hundert Sterne, die Musik und den Lärm
und die Geräusche der Wagen und Menschen zu hören,
die vielen Kirchtürme und Giebel zu sehen und zu hören,
wie die Glocken läuten. - Und die Jüngste sehnte sich
immer mehr nach diesem allen, gerade weil sie noch nicht hinauf
durfte.
O, wie horchte sie auf, und wenn sie dann abends am offenen
Fenster stand und durch das dunkelblaue Wasser hinaufsah, dachte
sie an die große Stadt mit all ihrem Lärm und Geräusch,
und dann vermeinte sie, die Kirchenglocken bis zu sich herunter
läuten zu hören.
Ein Jahr danach bekam die zweite Schwester Erlaubnis, durch
das Wasser aufzusteigen und zu schwimmen, wohin sie wollte.
Sie tauchte auf, gerade als die Sonne unterging, und dieser
Anblick erschien ihr das schönste. Der ganze Himmel habe
wie Gold ausgesehen, sagte sie, und die Wolken - Ja, deren Herrlichkeit
konnte sie nicht genug beschreiben! Rot und violett waren sie
über ihr dahingesegelt, aber weit hurtiger als sie flog,
wie ein langer weißer Schleiers ein Schwarm wilder Schwäne
über das Wasser hin, wo die Sonne stand. Sie schwamm ihr
entgegen, aber sie sank, und der Rosenschimmer erlosch auf der
Meeresfläche und den Wolken.
Im Jahre darauf kam die dritte Schwester hinauf. Sie war die
dreisteste von allen. Darum schwamm sie einen breiten Fluß
hinauf, der in das Meer mündete. Herrliche grüne Hügel
mit Weinreben sah sie, und Schlösser und Bauernhöfe
schauten zwischen den prächtigen Wäldern hervor, sie
hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien
so warm, daß sie untertauchen mußte, um im Wasser
ihr brennendes Antlitz zu kühlen. In einer kleinen Bucht
traf sie eine Schar kleiner Menschenkinder, ganz nackend liefen
sie im Wasser umher und plätscherten, sie wollte mit ihnen
spielen, aber sie waren erschreckt davon gelaufen, und ein kleines
schwarzes Tier war gekommen - das war ein Hund, aber sie hatte
nie zuvor einen Hund gesehen -, der bellte sie so schrecklich
an, daß sie es mit der Angst bekam und schnell in die
offene See zu kommen suchte. Aber niemals konnte sie die prächtigen
Wälder vergessen, und die grünen Hügel und die
niedlichen Kinder, die im Wasser schwimmen konnten, obwohl sie
keinen Fischschwanz hatten.
Die vierte Schwester war nicht so dreist, sie blieb draußen
mitten im wilden Meer und erzählte, daß gerade das
das Herrlichste gewesen wäre: Man sehe viele Meilen weit
umher, und der Himmel stände über einem wie eine große
Glasglocke. Schiffe hätte sie gesehen, aber weit in der
Ferne, sie sähen aus wie Strandmöven; die lustigen
Delfine hätten Purzelbäume geschlagen, und die großen
Walfische hätten aus ihren Nasenlöchern Wasser hoch
in die Luft gespritzt, so daß es wie hundert Springbrunnen
ringsumher ausgesehen habe.-
Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag
fiel gerade in den Winter, und darum sah sie, was die anderen
das erste Mal nicht gesehen hatten. Das Meer nahm sich ganz
grün aus, und ringsum schwammen große Eisberge. Jeder
sähe aus, wie eine Perle, sagte sie, und doch sei er größer
als die Kirchtürme, die die Menschen bauten. In den seltsamsten
Gestalten zeigten sie sich und funkelten wie Diamanten. Sie
hatte sich auf einen der größten gesetzt, und alle
Segler kreuzten erschrocken in großem Bogen dort vorbei,
wo sie saß und ihre Haare im Winde fliegen ließ.
Aber gegen Abend überzog sich der Himmel mit schwarzen
Wolken, es blitzte und donnerte, während die schwarze See
die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie in rotem
Lichte erglänzen ließ. Auf allen Schiffen nahm man
die Segel herein, und überall herrschte Angst und Grauen,
sie aber saß ruhig auf ihrem schwimmenden Eisberg und
sah die blauen Blitze im Zickzack in die schimmernde See herniederschlagen.
Das erste Mal, wenn eine der Schwestern über das Wasser
emporkam, war jede entzückt über all das Neue und
Schöne. was sie sah, aber da sie nun als erwachsene Mädchen
emporsteigen durften, wann sie wollten, wurde es ihnen gleichgültig,
sie sehnten sich wieder nach Hause zurück, und nach eines
Monats Verlauf sagten sie, daß es doch unten bei ihnen
am allerschönsten sei, man sei da so hübsch zu Hause.
In mancher Abendstunde faßten sich die fünf Schwestern
an den Händen und stiegen in einer Reihe über das
Wasser hinauf. Herrliche Stimmen hatten sie, schöner als
irgendein Mensch, und wenn dann ein Sturm heraufzog, so daß
sie annehmen konnten, daß Schiffe untergehen würden,
so schwammen sie vor den Schiffen her und sangen so wundersam,
wie schön es auf dem Meeresgrunde sei, und sie baten die
Schiffer, sich nicht zu fürchten vor dem Untergehn, aber
diese konnten die Worte nicht verstehen und glaubten, es wäre
der Sturm. Und sie bekamen die Herrlichkeiten da unten auch
nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen
und kamen nur als Tote zu des Meerkönigs Schloß.
Wenn die Schwestern so Arm in Arm am Abend durch die See hinaufstiegen,
dann stand die kleine Schwester ganz allein und sah ihnen nach,
und es war ihr, als ob sie weinen müßte, aber Seejungfern
haben keine Tränen und leiden darum viel schwerer.
"Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre!" sagte
sie, "ich weiß, daß ich die Welt da oben und
die Menschen, die dort bauen und wohnen, recht in mein Herz
schließen werde!"
Endlich war sie fünfzehn Jahre alt.
"Sieh, nun bist du erwachsen," sagte ihre Grobmutter
die alte Königin-Witwe. "Komm nun und lasse dich von
mir schmücken wie deine anderen Schwestern!" Und sie
setzte ihr einen Kranz von weißen Lilien ins Haar, aber
jedes Blumenblatt war eine halbe Perle: und dann ließ
die Alte acht große Austern sich im Schwanze der Prinzessin
festklemmen, um ihren hohen Stand zu zeigen.
"Das tut so weh!" sagte die kleine Seejungfer.
"Ja, Adel hat seinen Zwang!" sagte die Alte.
Ach, sie würde so gerne die ganze Pracht abgeschüttelt
und den schweren Kranz weggelegt haben, ihre roten Blumen im
Garten kleideten sie viel besser, aber das nutzte nun nichts
mehr. "Lebewohl," sagte sie und stieg leicht und klar,
gleich einer Blase, im Wasser empor. Die Sonne war gerade untergegangen,
als sie ihr Haupt aus dem Wasser erhob, aber alle Wolken leuchteten
noch wie Rosen und Gold, und mitten in der zartroten Luft strahlte
der Abendstern so licht und klar. Die Luft war mild und frisch
und das Meer windstill. Da lag ein großes Schiff mit drei
Masten. Nur ein einziges Segel war aufgezogen, denn nicht ein
Lüftchen rührte sich und rings im Tauwerk und auf
den Stangen saßen Matrosen. Da war Musik und Gesang, und
als es abends dunkelte, wurden hunderte von bunten Lichtern
angezündet; und es sah aus, als ob die Flaggen aller Nationen
in der Luft wehten. Die kleine Seejungfer schwamm bis dicht
an das Kajütenfenster, und jedesmal, wenn das Wasser sie
emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Scheiben sehen,
wie viele geputzte Menschen drinnen standen, aber der schönste
war doch der junge Prinz mit den großen schwarzen Augen.
Er war gewiß nicht viel über sechzehn Jahre; es war
sein Geburtstag, und darum herrschte all die Pracht. Die Matrosen
tanzten auf dem Deck, und als der junge Prinz heraustrat, stiegen
über hundert Raketen in die Luft empor, die leuchteten
wie der klare Tag, so daß die kleine Seejungfer ganz erschreckt
ins Wasser niedertauchte, aber sie steckte den Kopf bald wieder
hervor und da war es, als ob alle Sterne des Himmels auf sie
herniederfielen. Niemals hatte sie solche Feuerkünste gesehen.
Große Sonnen drehten sich sprühend herum, Feuerfische
schwangen sich in die blaue Luft, und alles spiegelte sich in
der klaren, stillen See. Auf dem Schiffe selbst war es so hell,
daß man jedes kleine Tau sehen konnte, wieviel genauer
noch die Menschen. Ach, wie schön war doch der junge Prinz,
und er drückte den Leuten die Hand und lächelte, während
die Musik in die herrliche Nacht hinausklang.
Es wurde spät, aber die kleine Seejungfer konnte die Augen
nicht von dem Schiffe und von dem schönen Prinzen wegwenden.
Die bunten Lichter wurden gelöscht, Raketen stiegen nicht
mehr empor, und auch keine Kanonenschüsse ertönten
mehr, aber tief unten im Meere summte und brummte es. Sie saß
inzwischen und ließ sich vom Wasser auf und nieder schaukeln,
so daß sie in die Kajüte hineinsehen konnte; aber
jetzt bekam das Schiff stärkere Fahrt, ein Segel nach dem
anderen breitete sich aus, die Wogen gingen höher, große
Wolken zogen herauf, es blitzte in der Ferne. Ein schreckliches
Unwetter war im Anzuge, deshalb nahmen die Matrosen die Segel
ein. Das große Schiff schaukelte in fliegender Fahrt auf
der wilden See. Die Wogen stiegen auf wie große, schwarze
Berge, die sich über die Masten wälzen wollten, aber
das Schiff tauchte wie ein Schwan zwischen den hohen Wogen nieder
und ließ sich wieder emportragen auf die aufgetürmten
Wasser. Der kleinen Seejungfer schien es eine recht lustige
Fahrt zu sein, aber den Seeleuten er
schien es ganz und gar nicht so. Das Schiff knackte und krachte,
die dicken Planken bogen sich bei den starken Stößen,
mit denen sich die See gegen das Schiff warf, der Mast brach
mitten durch, als ob er ein Rohr wäre, und das Schiff schlingerte
auf die Seite, während das Wasser in den Raum drang. Nun
sah die kleine Seejungfer, daß sie in Gefahr waren. Sie
mußte sich selbst in acht nehmen, vor den Balken und Schiffstrümmern,
die auf dem Wasser trieben. Einen Augenblick war es so kohlschwarze
Finsternis, daß sie nicht das mindeste gewahren konnte,
aber wenn es dann blitzte, wurde es wieder so hell, daß
sie alle auf dem Schiffe erkennen konnte; jeder tummelte sich,
so gut er konnte. Besonders suchte sie nach dem jungen Prinzen,
und sie sah ihn, als das Schiff verschwand, in das tiefe Meer
versinken. Zuerst war sie sehr froh darüber, denn nun kam
er ja zu ihr herunter, aber dann erinnerte sie sich, daß
Menschen nicht unter dem Wasser leben können, daß
er also nur als Toter hinunter zu ihres Vaters Schloß
gelangen konnte. Nein, sterben durfte er nicht; deshalb schwamm
sie hin zwischen die Balken und Planken, die auf dem Meere trieben,
und vergaß ganz daß sie von ihnen hätte zermalmt
werden können. Sie tauchte tief unter das Wasser, stieg
wieder empor zwischen den Wogen und gelangte so zuletzt zu dem
jungen Prinzen hin, der kaum mehr in der stürmischen See
schwimmen konnte, seine Arme und Beine begannen zu ermatten,
die schönen Augen schlossen sich, und er wäre gestorben,
wenn nicht die kleine Seejungfer dazu gekommen wäre. Sie
hielt seinen Kopf über Wasser und ließ sich so von
den Wogen mit ihm treiben, wohin sie wollten.
Am Morgen war das Unwetter vorüber, vom Schiffe war nicht
ein Span mehr zu sehen, die Sonne stieg rot empor und glänzte
über dem Wasser, und es war gerade, als ob des Prinzen
Wangen Leben dadurch erhielten, aber die Augen blieben geschlossen.
Die Seejungfer küßte seine hohe, schöne Stirn
und strich sein nasses Haar zurück, sie dachte, daß
er dem Marmorbilde unten in ihrem kleinen Garten gliche, und
sie küßte ihn wieder und wünschte, daß
er doch leben möchte.
Nun sah sie vor sich das feste Land, hohe blaue Berge, auf
deren Gipfel der weiße Schnee schimmerte, als ob Schwäne
dort oben lägen. Unten an der Küste waren herrliche
grüne Wälder, und vorn lag eine Kirche oder ein Kloster,
das wußte sie nicht recht, aber ein Gebäude war es.
Zitronen- und Apfelsinenbäume wuchsen dort im Garten, und
vor den Toren standen große Palmenbäume. Die See
bildete hier eine kleine Bucht, da war es ganz still, aber sehr
tief. Bis dicht zu den Klippen, wo der feine" weiße
Sand angespült lag, schwamm sie mit dem schönen Prinzen,
legte ihn in den Sand, und sorgte besonders dafür, daß
der Kopf hoch im warmen Sonnenschein lag.
Nun läuteten die Glocken in dem großen weißen
Gebäude, und es kamen viele junge Mädchen durch den
Garten. Da schwamm die kleine Seejungfer etwas weiter hinaus
hinter ein paar große Felsen, die aus dem Meere aufragten,
bedeckte ihre Brust und ihr Haar mit Meerschaum, so daß
niemand ihr kleines Antlitz sehen konnte, und dann paßte
sie auf, wer zu dem armen Prinzen kommen würde.
Es dauerte nicht lange, bis ein junges Mädchen dahin kam.
Sie schien sehr erschrocken, aber nur einen Augenblick, dann
holte sie mehrere Leute herbei, und die Seejungfer sah, daß
der Prinz wieder zu sich kam und alle anlächelte, aber
hinaus zu ihr lächelte er nicht, er wußte ja auch
nicht, daß sie ihn gerettet hatte; sie wurde sehr traurig,
und als er in das große Gebäude geführt wurde,
tauchte sie betrübt ins Wasser hinab und kehrte heim zu
ihres Vaters Schloß.
Immer war sie still und gedankenvoll gewesen, aber nun wurde
sie es noch weit mehr. Die Schwestern fragten sie, was sie das
erste Mal dort oben gesehen habe, aber sie erzählte nichts.
Manchen Abend und Morgen stieg sie auf zu der Stelle, wo sie
den Prinzen verlassen hatte. Sie sah des Gartens Früchte
reifen und gepflückt werden, sie sah den Schnee auf den
hohen Bergen schmelzen, aber den Prinzen sah sie nicht, und
deshalb kehrte sie immer betrübter heim. Es war ihr einziger
Trost, in dem kleinen Garten zu sitzen und ihre Arme um das
schöne Marmorbild, das dem Prinzen glich, zu schlingen,
aber ihre Blumen pflegte sie nicht, sie wuchsen wie in einer
Wildnis über die Gänge hinaus und flochten ihre langen
Stiele und Blätter in die Zweige der Bäume, so daß
es dort ganz dunkel war.
Zuletzt konnte sie es nicht länger aushalten und sagte
es einer von ihren Schwestern, und so bekamen es schnell all
die anderen zu wissen, aber nicht mehr als sie und noch ein
paar Seejungfern, die es niemand weitersagten, als ihren allernächsten
Freundinnen. Eine von diesen wußte, wer der Prinz war,
sie hatte auch das Fest auf dem Schiffe gesehen und wußte,
woher er war und wo sein Königreich lag.
"Komm, Schwesterchen" sagten die anderen Prinzessinnen,
und Arm in Arm stiegen sie in einer langen Reihe aus dem Meere
empor, dorthin, wo sie des Prinzen Schloß wußten.
Dies war aus einer hellgelb glänzenden Steinart aufgeführt,
mit großen Marmortreppen, von denen eine gerade bis zum
Meere hinunter führte. Prächtige vergoldete Kuppeln
erhoben sich über dem Dache, und zwischen den Säulen,
die das ganze Gebäude umkleideten, standen Marmorbilder,
die sahen aus, als ob sie Leben hätten. Durch das klare
Glas in den hohen Fenstern konnte man in die prächtigsten
Gemächer hineinsehen, wo kostbare Seidengardinen und Teppiche
hingen und die Wände mit großen Gemälden geschmückt
waren, so daß es ein wahres Vergnügen war, alles
anzusehen. Mitten in dem größten Saal plätscherte
ein großer Springbrunnen, seine Strahlen sprangen hoch
auf gegen die Glaskuppel in der Decke, wo hindurch die Sonne
auf das Wasser und die herrlichen Pflanzen schien, die in dem
großen Marmorbecken wuchsen.
Nun wußte sie, wo er wohnte, und so brachte sie manchen
Abend und manche Nacht dort auf dem Wasser zu. Sie schwamm dem
Lande weit näher, als es eine der anderen je gewagt hatte,
ja sie drang bis weit in den schmalen Kanal unter dem prächtigen
Marmoraltan ein, der einen langen Schatten über das Wasser
warf. Hier saß sie und sah auf den jungen Prinzen, der
sich ganz allein in dem klaren Mondschein glaubte.
An manchem Abend sah sie ihn mit Musik und wehenden Flaggen
in seinem prächtigen Boot davonsegeln. Sie lugte zwischen
dem grünen Schilfe hervor, und wenn der Wind mit ihrem
langen silberweißen Schleier spielte und jemand das sah,
dachte er, es sei ein Schwan, der seine Flügel höbe.
Sie hörte in mancher Nacht, wenn die Fischer mit Fackeln
auf dem Meer lagen, daß viel Gutes von dem jungen Prinzen
berichtet wurde, und da freute sie sich, daß sie ihn gerettet
hatte, als er halbtot auf den Wogen trieb, und sie dachte daran,
wie fest sein Haupt an ihrer Brust geruht hatte, und wie innig
sie ihn da geküßt hatte. Aber er wußte nichts
davon und konnte nicht einmal von ihr träumen.
Mehr und mehr kam sie dazu, die Menschen zu lieben, und mehr
und mehr wünschte sie, zu ihnen hinaufsteigen zu können,
denn die Menschenwelt erschien ihr weit größer als
die ihre. Sie konnten zu Schiff über die Meere fliegen,
auf die hohen Berge weit über den Wolken steigen, und ihre
Länder erstreckten sich mit Wäldern und Feldern weiter,
als sie blicken konnte. Da war so vieles, was sie gern wissen
wollte, aber die Schwestern konnten ihr auf viele Fragen keine
Antwort geben, deshalb fragte sie die alte Großmutter,
denn diese kannte die höhere Welt, wie sie sehr richtig
die Länder oberhalb des Meeres nannte, recht gut.
"Wenn die Menschen nicht ertrinken," fragte die kleine
Seejungfer, "können sie dann ewig leben? Sterben sie
nicht, wie wir hier unten im Meere?"
"Ja", sagte die Alte, "sie müssen auch
sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch kürzer als
die unsere. Wir können dreihundert Jahre alt werden, aber
wenn wir dann aufgehört haben, zu sein, so werden wir in
Schaum auf dem Wasser verwandelt und haben nicht einmal ein
Grab hier unten zwischen unseren Lieben.
Wir haben keine unsterbliche Seele; wir erhalten nie wieder
Leben. Wir sind gleich dem grünen Schilfe, ist es einmal
abgeschnitten, so kann es nie wieder grünen. Die Menschen
dagegen haben eine Seele, die ewig lebt, die lebt, auch wenn
der Körper zu Erde zerfallen ist. Sie steigt auf in der
klaren Luft und zu all den schimmernden Sternen empor! Gerade
wie wir aus dem Meere auftauchen und die Länder der Menschen
sehen, so tauchen sie zu unbekannten, herrlichen Orten empor,
die wir niemals erblicken werden."
"Warum bekamen wir keine unsterbliche Seele?" sagte
die kleine Seejungfer betrübt, "ich wollte alle meine
hundert Jahre, die ich zu leben habe, dafür hingeben, einen
Tag ein Mensch zu sein und Teil zu haben an der himmlischen
Welt!"
"So etwas mußt du nicht denken!" sagte die
Alte, "wir sind viel glücklicher und besser daran,
als die Menschen dort oben!"
"Ich muß also sterben und als Schaum auf dem Meere
treiben, und darf nicht mehr der Wellen Musik hören, die
herrlichen Blumen und die rote Sonne sehen. Kann ich denn gar
nichts tun, um eine unsterbliche Seele zu gewinnen?"-
"Nein", sagte die Alte. "Nur wenn ein Mensch
dich so lieb gewinnt, daß du für ihn mehr wirst,
als Vater und Mutter, wenn er mit allen seinen Gedanken und
seiner Liebe an dir hinge und den Priester deine rechte Hand
in seine legen ließe mit dem Gelübde der Treue hier
und für alle Ewigkeit, dann würde seine Seele in deinen
Körper überfließen und du bekämest auch
Teil an dem Glücke der Menschen. Er gäbe dir eine
Seele und behielte doch die eigene. Aber das kann niemals geschehen!
Was hier im Meere gerade als schön gilt, dein Fischschwanz,
das finden sie häßlich oben auf der Erde, sie verstehen
es eben nicht besser. Man muß dort zwei plumpe Säulen
haben, die sie Beine nennen, um schön zu sein!"
Da seufzte die kleine Seejungfer und sah betrübt auf ihren
Fischschwanz.
"Laß uns fröhlich sein," sagte die Alte,
"hüpfen und springen wollen wir in den dreihundert
Jahren, die wir zu leben haben, das ist eine ganz schöne
Zeit. Später kann man sich um so sorgenloser in seinem
Grabe ausruhen. Heute abend haben wir Hofball!"
Das war eine Pracht, wie man sie auf der Erde nie sehen konnte.
Wände und Decke in dem großen Tanzsaal waren aus
dickem, aber klarem Glase. Mehrere hundert riesige Muschelschalen,
rosenrote und grasgrüne, standen in Reihen an jeder Seite
mit einem blau brennenden Feuer, das den ganzen Saal erleuchtete
und durch die Wände hinausschien, so daß die See
draußen ebenfalls hell erleuchtet war. Man konnte all
die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die
gegen die Glasmauern schwammen. Bei einigen schimmerten die
Schuppen purpurrot, bei anderen wie Silber und Gold. Mitten
im Saale floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten
die Meermänner und Meerweiblein zu ihrem eigenen herrlichen
Gesang. So süßklingende Stimmen gibt es bei den Menschen
auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfer sang am schönsten
von allen, und alle klatschten ihr zu, und einen Augenblick
lang fühlte sie Freude im Herzen, denn sie wußte,
daß sie die schönste Stimme von allen im Wasser und
auf der Erde hatte! Aber bald dachte sie doch wieder an die
Welt über sich; sie konnte den schönen Prinzen nicht
vergessen und auch nicht ihren Kummer darüber, daß
sie nicht, wie er, eine unsterbliche Seele besaß.
Deshalb schlich sie sich aus ihres Vaters Schloß, und
während alle drinnen sich bei Gesang und Fröhlichkeit
vergnügten, saß sie betrübt in ihrem kleinen
Garten. Da hörte sie das Waldhorn durch das Wasser hinunter
erklingen, und sie dachte: "Nun fährt er gewiß
dort oben, er, den ich lieber habe, als Vater und Mutter, er,
an dem meine Gedanken hängen und in dessen Hand ich meines
Lebens Glück legen möchte. Alles will ich wagen um
ihn und um eine unsterbliche Seele zu gewinnen! Während
meine Schwestern dort drinnen in meines Vaters Schloß
tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der ich mich immer
so gefürchtet habe. Aber sie kann vielleicht raten und
helfen!"
Nun ging die kleine Seejungfer aus ihrem Garten hinaus zu dem
brausenden Malstrom, hinter dem die Hexe wohnte. Diesen Weg
war sie nie zuvor gegangen, da wuchsen keine Blumen, kein Seegras,
nur der nackte graue Sandboden streckte sich gegen den Malstrom,
wo das Wasser wie brausende Mühlenräder im Kreise
wirbelte und alles, was es erfaßte, mit sich in die Tiefe
riß. Mitten zwischen diesen zermalmenden Wirbeln mußte
sie dahingehen, um in das Reich der Meerhexe zu gelangen. Dann
gab es eine ganze Strecke keinen anderen Weg, als über
heißsprudelnden Schlamm, den die Hexe ihr Torfmoor nannte.
Dahinter lag ihr Haus mitten in einem seltsamen Walde. Alle
Bäume und Büsche waren Polypen, halb Tier, halb Pflanze,
sie sahen aus, wie hundertköpfige Schlangen, die aus der
Erde wuchsen; alle Zweige waren lange schleimige Arme mit Fingern
wie geschmeidige Würmer, und Glied für Glied bewegten
sie sich von der Wurzel bis zur äußersten Spitze.
Alles was in ihre Greifnähe kam im Meer, umschnürten
sie fest und ließen es nicht wieder los. Die kleine Seejungfer
blieb ganz erschrocken draußen stehen, ihr Herz klopfte
vor Angst, fast wäre sie wieder umgekehrt, aber da dachte
sie an den Prinzen und an die Menschenseele, und das machte
ihr Mut. Ihr langes, wehendes Haar band sie fest um den Kopf,
so daß die Polypen sie nicht daran ergreifen könnten,
beide Hände legte sie über der Brust zusammen und
schoß von dannen, schnell wie nur ein Fisch durchs Wasser
schießen kann, mitten hinein zwischen die häßlichen
Polypen, die ihre geschmeidigen Arme und Finger nach ihr ausstreckten.
Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er aufgegriffen hatte
mit hundert kleinen Armen festhielt wie mit starken Eisenbanden.
Menschen, die in der See umgekommen waren und tief heruntergesunken
waren, sahen als weiße Gerippe aus dem Armen der Polypen
hervor. Steuerruder und Kisten hielten sie fest, Skelette von
Landtieren und eine kleine Meerjungfer, die sie gefangen und
erstickt hatten, - das erschien ihr fast als das Schrecklichtse.
Nun gelangte sie an einen großen, mit Schleim bedeckten
Platz im Walde, wo große, fette Wasserschlangen sich wälzten
und ihre häßlichen, weißgelben Bäuche
zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus errichtet aus ertrunkener
Menschen weißen Gebeinen. Da saß die Meerhexe und
ließ eine Kröte von ihrem Munde essen, gerade wie
Menschen einen kleinen Kanarienvogel Zucker picken lassen. Die
häßlichen, fetten Wasserschlangen nannte sie ihre
kleinen Küchlein und ließ sie sich auf ihrer großen,
schwammigen Brust wälzen.
"Ich weiß schon, was du willst!" sagte die
Meerhexe, "das ist zwar dumm von dir, aber du sollst trotzdem
deinen Willen haben, denn er wird dich ins Unglück stürzen,
meine schöne Prinzessin. Du willst gern deinen Fischschwanz
los sein und dafür zwei Stümpfe haben, um darauf zu
gehen, ebenso wie die Menschen, damit der junge Prinz sich in
dich verlieben soll und du ihn und eine unsterbliche Seele bekommen
kannst!" Gleichzeitig lachte die Hexe so laut und scheußlich,
daß die Kröte und die Schlangen zur Erde fielen und
sich dort wälzten. "Du kommst gerade zur rechten Zeit"
sagte die Hexe, "morgen, wenn die Sonne aufgeht, könnte
ich dir nicht mehr helfen, bevor wieder ein Jahr um wäre.
Ich will dir einen Trunk bereiten, mit dem sollst du, bevor
die Sonne aufgeht, ans Land schwimmen, dich ans Ufer setzen
und ihn trinken, dann verschwindet dein Schwanz und schrumpft
zusammen zu dem, was die Menschen hübsche Beine nennen,
aber es tut weh, es wird sein als ob ein scharfes Schwert durch
dich hindurch ginge. Alle, die dich sehen, werden sagen, du
seiest das liebreizendste Menschenkind, das sie je gesehen hätten!
Du behältst deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin
wird schweben können, wie du, aber jeder Schritt, den du
tust, wird sein, als ob du auf scharfe Messer trätest,
so daß dein Blut fließen muß. Willst du alles
dies erleiden, so werde ich dir helfen!"
"Ja!" sagte die kleine Seejungfer mit bebender Stimme
und dachte an den Prinzen und die unsterbliche Seele.
"Bedenke aber", sagte die Hexe, "hast du erst
menschliche Gestalt bekommen, so kannst du nie wieder eine Seejungfer
werden! Niemals wieder kannst du durch das Wasser zu deinen
Schwestern niedersteigen und zu deines Vaters Schloß.
Und wenn du die Liebe des Prinzen nicht eringst, so daß
er um deinetwillen Vater und Mutter vergißt, mit allen
seinen Gedanken nur an dir hängt und den Priester eure
Hände ineinander legen läßt, so daß Ihr
Mann und Frau werdet, so bekommst du keine unsterbliche Seele!
Am ersten Morgen, nachdem er sich mit einer anderen vermählt
hat, muß dein Herz brechen, und du wirst zu Schaum auf
dem Wasser."
"Ich will es!" sagte die kleine Seejungfer und war
bleich wie der Tod.
"Aber mich mußt du auch bezahlen!" sagte die
Hexe, "und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast
die herrlichste Stimme von allen hier unten auf dem Meeresgrunde,
damit willst du ihn bezaubern, hast du dir wohl gedacht, aber
die Stimme mußt du mir geben. Das beste, was du besitzest,
will ich für meinen kostbaren Trank haben! Ich muß
ja mein eigenes Blut für dich darein mischen, damit der
Trank scharf werde, wie ein zweischneidiges Schwert!"
"Aber wenn du mir meine Stimme nimmst," sagte die
kleine Seejungfer, "was behalte ich dann übrig?"
"Deine schöne Gestalt," sagte die Hexe, "Deinen
schwebenden Gang und deine sprechenden Augen, damit kannst du
schon ein Menschenherz betören. Na, hast du den Mut schon
verloren? Streck deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich
sie ab, zur Bezahlung, und du bekommst dafür den kräftigen
Trank!"
"Es geschehe!" sagte die kleine Seejungfer, und die
Hexe setzte ihren Kessel auf, um den Zaubertrank zu kochen.
"Reinlichkeit ist ein gutes Ding!" sagte sie und scheuerte
den Kessel mit Schlangen ab, die sie zu einem Knoten band. Nun
ritzte sie sich selbst in die Brust und ließ ihr schwarzes
Blut hineintropfen. Der Dampf nahm die seltsamsten Gestalten
an, so daß einem angst und bange wurde. Jeden Augenblick
tat die Hexe neue Sachen in den Kessel, und als es recht kochte,
war es, als ob ein Krokodil weint. Zuletzt war der Trank fertig,
er sah aus, wie das klarste Wasser.
"Da hast du ihn!" sagte die Hexe und schnitt der
kleinen Seejungfer die Zunge ab. Nun war sie stumm und konnte
weder singen noch sprechen.
"Sobald du von den Polypen ergriffen wirst, wenn du durch
meinen Wald zurück gehst," sagte die Hexe, "so
wirf nur einen einzigen Tropfen von diesem Trank auf sie, dann
springen ihre Arme und Finger in tausend Stücke!"
Aber das brauchte die kleine Seejungfer gar nicht. Die Polypen
zogen sich erschreckt vor ihr zurück, als sie den leuchtenden
Trank sahen, der in ihrer Hand glänzte, gerade als ob sie
einen funkelnden Stern hielte. So kam sie bald durch den Wald,
das Moor und den brausenden Malstrom.
Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen; die Lichter in
dem großen Tanzsaal waren gelöscht, sie schliefen
gewiß alle darinnen, aber sie wagte doch nicht noch einmal
hinzugehen, nun sie stumm geworden war und sie auf immer verlassen
wollte. Es war, als ob ihr Herz vor Kummer zerspringen wollte.
Sie schlich sich in den Garten, nahm eine Blume von jeder Schwester
Beet, warf tausend Kußhände zum Schlosse hin und
stieg durch die dunkelblaue See empor.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloß
erblickte und die prächtige Marmortreppe emporstieg. Der
Mond schien wundersam klar. Die kleine Seejungfer trank den
brennend scharfen Trank und es war ihr, als ob ein zweischneidiges
Schwert durch ihre feinen Glieder ging. Sie wurde darüber
ohnmächtig und lag wie tot da. Als die Sonne über
die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneidenden
Schmerz, aber gerade vor ihr stand der schöne, junge Prinz.
Er heftete seine kohlschwarzen Augen auf sie, so daß sie
die ihren niederschlug, und nun sah sie, daß ihr Fischschwanz
fort war und sie die niedlichsten kleinen, weißen Füßchen
hatte, die nur ein Mädchen haben kann. Aber sie war ganz
nackend, darum hüllte sie sich in ihr langes, dichtes Haar.
Der Prinz fragte, wer sie wäre und wie sie hierhergekommen
sei, und sie sah ihn mild aber doch so traurig mit ihren dunkelblauen
Augen an; sprechen konnte sie ja nicht. Da nahm er sie bei der
Hand und führte sie in das Schloß. Jeder Schritt,
den sie tat, war, wie die Hexe es ihr vorausgesagt hatte, als
ob sie auf spitzige Nadeln und scharfe Messer träte, aber
das erduldete sie gerne; an des Prinzen Hand stieg sie so leicht
wie eine Seifenblase empor, und er und alle Anderen verwunderten
sich über ihren anmutig dahinschwebenden Gang.
Mit köstlichen Kleidern aus Seide und Musselin wurde sie
nun bekleidet. Sie war die Schönste im Schlosse, aber sie
war stumm, konnte weder singen noch sprechen. Wunderschöne
Sklavinnen, gekleidet in Seide und Gold, traten hervor und sangen
vor dem Prinzen und seinen königlichen Eltern. Eine von
ihnen sang schöner als die anderen, und der Prinz klatschte
in die Hände und lächelte ihr zu. Da ward die kleine
Seejungfer traurig, sie wußte, daß sie selbst weit
schöner gesungen hatte! und sie dachte, o, wüßte
er nur, daß ich, um in seiner Nähe zu sein, meine
Stimme für alle Ewigkeit hingegeben habe!"
Nun tanzten die Sklavinnen lieblich schwebende Tänze zu
der herrlichsten Musik. Da hob die kleine Seejungfer ihre schönen,
weißen Arme, erhob sich auf den Zehenspitzen und schwebte
über den Boden hin, und sie tanzte, wie noch keine getanzt
hatte. Bei jeder Bewegung offenbarte sich ihre Schönheit
anmutiger, und ihre Augen sprachen tiefer zum Herzen, als der
Gesang der Sklavinnen.
Alle waren entzückt, besonders aber der Prinz, der sie
sein kleines Findelkind nannte, und sie tanzte fort und fort,
ob auch bei jedem Male, wenn ihr Fuß die Erde berührte,
sie einen Schmerz fühlte, als ob sie auf scharfe Messer
träte. Der Prinz sagte, daß sie immer bei ihm bleiben
müsse, und sie bekam die Erlaubnis, vor seiner Tür
auf einem samtenen Kissen zu schlafen.
Er ließ ihr eine Knabentracht nähen, damit sie ihm
auch zu Pferde folgen könne. Sie ritten durch die duftenden
Wälder, wo die Zweige an ihre Schultern schlugen und die
kleinen Vögel unter den frischen Blättern sangen.
Sie kletterte mit dem Prinzen die hohen Berge hinauf, und obgleich
ihre feinen Füße bluteten, daß selbst die anderen
es sahen, lachte sie dessen und folgte ihm doch, bis sie die
Wolken unter sich dahinsegeln sahen, wie einen Schwarm Vögel,
der nach fremden Ländern zog.
Daheim auf des Prinzen Schloß, wenn nachts die anderen
schliefen, ging sie die breite Marmortreppe hinab; es kühlte
ihre brennenden Füße, im kalten Meereswasser zu stehen,
und dann dachte sie derer unten in der Tiefe.
Eines Nachts kamen ihre Schwestern Arm in Arm, sie sangen so
traurig, während sie über das Wasser dahinschwammen,
und sie winkte ihnen zu, und sie erkannten sie und erzählten,
wie traurig sie alle um sie seien. Sie besuchten sie von nun
an jede Nacht. Und in einer Nacht sah sie weit draußen
die alte Grobmutter die seit vielen Jahren nicht mehr über
dem Wasser gewesen war, und den Meerkönig mit seiner Krone
auf dem Haupte. Sie streckten die Arme nach ihr aus, aber wagten
sich nicht so nahe ans Land, wie die Schwestern.
Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber, er hatte sie
lieb, wie man ein gutes und liebes Kind gern hat, aber sie zu
seiner Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn. Und
sie mußte doch seine Frau werden, sonst erhielt sie keine
unsterbliche Seele und mußte an seinem Hochzeitsmorgen
zu Schaum vergehen.
"Hast du mich nicht am liebsten von allen?" schienen
der kleinen Seejungfer Augen zu fragen, wenn er sie in seine
Arme nahm und sie auf die schöne Stirn küßte.
"Ja, du bist mir die Liebste," sagte der Prinz, "denn
du hast das beste Herz von allen, du bist mir am meisten ergeben,
und du gleichst einem jungen Mädchen, das ich einmal sah
aber gewiß nie wieder finden werde. Ich war auf einem
Schiffe, das unterging. Die Wogen trieben mich bei einem heiligen
Tempel an das Land, wo mehrere junge Mädchen die Tempeldienste
verrichteten. Die Jüngste fand mich am Meeresufer und rettete
mir das Leben. Ich sah sie nur zwei Mal. Sie ist die einzige
in dieser Welt, die ich lieben könnte, aber du gleichst
ihr, du verdrängst fast ihr Bild in meiner Seele. Sie gehört
dem heiligen Tempel an, und deshalb hat mein Glücksengel
dich mir gesendet. Nie wollen wir uns trennen!" - "Ach,
er weiß nicht, daß ich sein Leben gerettet habe!"
dachte die kleine Seejungfer, "ich trug ihn über das
Meer zu dem Walde, wo der Tempel stand; ich saß hinter
dem Schaum und paßte auf, ob Menschen kommen würden;
ich sah das schöne Mädchen, das er mehr liebt, als
mich!" Und die Seejungfer seufzte tief, denn weinen konnte
sie nicht. "Das Mädchen gehört dem heiligen Tempel
an, hat er gesagt; sie kommt nie in die Welt hinaus, sie begegnen
einander nicht mehr; ich bin bei ihm, sehe ihn jeden Tag. Ich
will ihn pflegen, ihn lieben, ihm mein Leben opfern!"
Aber nun sollte der Prinz sich verheiraten mit des Nachbarkönigs
schöner Tochter, erzählte man. Deshalb rüstete
er auch ein so prächtiges Schiff aus. Der Prinz reist,
um des Nachbarkönigs Länder kennen zu lernen, hieß
es allerdings, aber es geschah im Grunde genommen, um des Nachbarkönigs
Tochter kennen zu lernen. Ein großes Gefolge sollte ihn
begleiten. Aber die kleine Seejungfer schüttelte das Haupt
und lächelte. Sie kannte die Gedanken des Prinzen weit
besser, als alle anderen. "Ich soll reisen!" hatte
er ihr gesagt, "ich soll die schöne Prinzessin sehen,
meine Eltern verlangen das. Aber zwingen wollen sie mich nicht,
sie als meine Braut heimzuführen. Ich kann sie ja nicht
lieben! Sie gleicht nicht dem schönen Mädchen im Tempel,
der du gleich siehst. Sollte ich einmal eine Braut wählen,
so würdest eher du es werden, du, mein stummes Findelkind
mit den sprechenden Augen!" und er küßte ihren
roten Mund, spielte mit ihren langen Haaren und legte sein Haupt
an ihr Herz, das von Menschenglück und einer unsterblichen
Seele träumte.
"Du hast doch keine Furcht vor dem Meere, mein stummes
Kind!" sagte er, als sie auf dem prächtigen Schiffe
standen, das ihn in des Nachbarkönigs Land führen
sollte. Und er erzählte ihr von Sturm und Windstille, von
seltsamen Fischen in der Tiefe, und was der Taucher dort gesehen
hatte. Sie lächelte bei seiner Erzählung, sie wußte
ja besser als nur irgend ein Mensch im Meere bescheid.
In der mondklaren Nacht, als alle schliefen außer dem
Steuermann, der am Ruder saß, saß sie an der Brüstung
des Schiffes und starrte durch das klare Wasser hinab, und sie
vermeinte, ihres Vaters Schloß zu sehen. Oben darauf stand
ihre alte Großmutter mit der Silberkrone auf dem Haupte
und starrte durch die wilde Strömung zu des Schiffes Kiel
hinauf. Da kamen ihre Schwestern über das Wasser empor,
und sie schauten sie traurig an und rangen ihre weißen
Hände. Sie winkte ihnen zu, lächelte und wollte erzählen,
daß sie glücklich sei und es ihr gut gehe, aber der
Schiffsjunge näherte sich ihr, und die Schwestern tauchten
hinab, so daß er glaubte, das Weiße, das er gesehen,
sei Meeresschaum.
Am nächsten Morgen fuhr das Schiff in den Hafen bei des
Nachbarkönigs prächtiger Stadt ein. Alle Kirchenglocken
erklangen, und von den hohen Türmen wurden die Posaunen
geblasen, während die Soldaten mit wehenden Fahnen und
blinkenden Bajonetten dastanden. Jeder Tag brachte ein neues
Fest. Bälle und Gesellschaften folgten einander, aber die
Prinzessin war nicht da. Sie war weit entfernt von hier in einem
heiligen Tempel erzogen worden, sagte man. Dort lehre man sie
alle königlichen Tugenden. Endlich traf sie ein.
Die kleine Seejungfer stand begierig, ihre Schönheit zu
sehen, und sie mußte anerkennen, eine lieblichere Erscheinung
hat sie nie gesehen. Die Haut war so fein und zart, und hinter
den langen schwarzen Wimpern lächelte ein Paar dunkelblauer,
treuer Augen.
"Du bist es!" sagte der Prinz, "Du, die mich
rettete, als ich wie tot an der Küste lag!" und er
schloß die errötende Braut in seine Arme. "O,
ich bin allzu glücklich!" sagte er zu der kleinen
Seejungfer. "Das allerhöchste, auf was ich nie zu
hoffen wagte, ist mir in Erfüllung gegangen. Du wirst dich
mit mir über mein Glück freuen, denn du meinst es
von allen am besten mit mir!" Und die kleine Seejungfer
küßte seine Hand, und sie fühlte fast ihr Herz
brechen. Sein Hochzeitsmorgen sollte ihr ja den Tod bringen
und sie zu Meeresschaum verwandeln.
Alle Kirchenglocken läuteten, Herolde ritten in den Straßen
umher und verkündeten die Verlobung. Auf allen Altaren
brannten duftende Öle in kostbaren Silberlampen. Die Priester
schwangen die Räucherfässer, und Braut und Bräutigam
reichten einander die Hand und nahmen den Segen des Bischofs
entgegen. Die kleine Seejungfer stand in Gold und Seide gekleidet
und hielt die Schleppe der Braut, aber ihre Ohren hörten
nichts von der festlichen Musik, ihre Augen sahen nicht die
heilige Zeremonie. Sie dachte an ihre Todesnacht und an alles,
was sie in dieser Welt verlor.
Noch am selben Abend gingen Braut und Bräutigam an Bord
des Schiffes. Die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten, und
inmitten des Schiffes war ein königliches Zelt aus Gold
und Purpur mit herrlichen Kissen errichtet. Dort sollte das
Brautpaar in der kühlen, stillen Nacht schlafen.
Die Segel bauschten sich im Winde, und das Schiff glitt leicht
und ohne große Bewegung über die klare See.
Als es dunkelte, wurden bunte Lampen entzündet, und die
Seeleute tanzten lustige Tänze auf dem Deck. Die kleine
Seejungfer mußte des ersten Abends gedenken, da sie aus
dem Meere auftauchte und dieselbe Pracht und Freude mit angesehen
hatte. Und sie wirbelte mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe
schwebt, wenn sie verfolgt wird, und alle jubelten ihr Bewunderung
zu, denn noch nie hatte sie so wundersam getanzt; es schnitt
wie mit scharfen Messern in ihre zarten Füße, aber
sie fühlte es nicht, denn weit mehr schmerzte ihr Herz.
Sie wußte, an diesem Abend sah sie ihn zum letzten Male,
ihn, um dessen willen sie die Heimat verlassen hatte, für
den sie ihre herrliche Stimme hingegeben hatte, und für
den sie täglich unendliche Qualen erlitten hatte, ohne
daß er es auch nur ahnte. Es war die letzte Nacht, daß
sie dieselbe Luft mit ihm atmete, das tiefe Meer und den blauen
Sternenhimmel erblickte. Ewige Nacht ohne Gedanken und Träume
wartete ihrer, die eine Seele nicht hatte und sie nimmermehr
gewinnen konnte. Und ringsum war Lust und Fröhlichkeit
auf dem Schiffe bis weit über Mitternacht hinaus. Sie lächelte
und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte
seine schöne Braut, und sie spielte mit seinem schwarzen
Haar, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige
Zelt.
Es wurde ruhig und still auf dem Schiffe, nur der Steuermann
stand am Ruder. Die kleine Seejungfer legte ihre weißen
Arme auf die Schiffsbrüstung und sah nach Osten der Morgenröte
entgegen. Der erste Sonnenstrahl, wußte sie, würde
sie töten. Da sah sie ihre Schwestern aus dem Meere aufsteigen,
sie waren bleich wie sie selbst; ihre langen schönen Haare
wehten nicht mehr im Winde. Sie waren abgeschnitten.
"Wir haben sie der Hexe gegeben, damit sie dir Hilfe bringen
sollte und du nicht in dieser Nacht sterben mußt! Sie
hat uns ein Messer gegeben. Hier ist es! Siehst du, wie scharf
es ist? Bevor die Sonne aufgeht, mußt du es dem Prinzen
ins Herz stoßen, und wenn sein warmes Blut über deine
Füße spritzt, wachsen sie zu einem Fischschwanz zusammen
und du wirst wieder eine Seejungfer, kannst zu uns ins Wasser
herniedersteigen und noch dreihundert Jahre leben, ehe du zu
totem, kaltem Meeresschaum wirst. Beeile dich! Er oder du mußt
sterben, bevor die Sonne aufgeht. Unsere alte Großmutter
trauert so sehr, daß ihr weißes Haar abgefallen
ist, wie das unsere von der Schere der Hexe. Töte den Prinzen
und komm zurück! Beeile dich! Siehst du den roten Streifen
am Himmel. In wenigen Minuten steigt die Sonne empor, und dann
mußt du sterben!" und sie stießen einen tiefen
Seufzer aus und versanken in den Wogen.
Die kleine Seejungfer zog den purpurnen Teppich vor dem Zelte
fort, und sie sah die schöne Braut, ihr Haupt an der Brust
des Prinzen gebettet, ruhen. Da beugte sie sich nieder, küßte
ihn auf seine schöne Stirn, sah zum Himmel auf, wo die
Morgenröte mehr und mehr aufleuchtete, sah auf das scharfe
Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen, der im
Traume den Namen seiner Braut flüsterte. Sie nur lebte
in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Hand der
Seejungfer, - dann aber schleuderte sie es weit hinaus in die
Wogen. Sie glänzten rot, und wo es hinfiel, sah es aus,
als ob Blutstropfen aus dem Wasser aufquollen. Noch einmal sah
sie mit halbgebrochenem Auge auf den Prinzen, dann stürzte
sie sich vom Schiffe ins Meer hinab und fühlte, wie ihre
Glieder sich in Schaum auflösten.
Nun stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ihre Strahlen fielen
so mild und warm auf den todeskalten Meeresschaum, und die kleine
Seejungfer fühlte den Tod nicht. Sie sah die klare Sonne,
und über ihr schwebten hunderte von herrlichen, durchsichtigen
Geschöpfen. Durch sie hindurch konnte sie des Schiffes
weiße Segel sehen und des Himmels rote Wolken, ihre Stimmen
waren wie Musik, aber so geisterhaft, daß kein menschliches
Ohr sie vernehmen konnte, ebenso wie kein menschliches Auge
sie wahrnehmen konnte. Ohne Flügel schwebten sie durch
ihre eigene Leichtigkeit in der Luft dahin. Die kleine Seejungfer
sah, daß sie einen Körper hatte, wie diese Wesen,
der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob.
"Zu wem komme ich?" fragte sie, und ihre Stimme klang
wie die der anderen Wesen, so geisterhaft zart, daß keine
irdische Musik es wiederzugeben vermag.
"Zu den Töchtern der Luft!" antworteten die
anderen. Seejungfrauen haben keine unsterbliche Seele und können
nie eine erringen, es sei denn, daß sie die Liebe eines
Menschen gewinnen! Von einer fremden Macht hängt ihr ewiges
Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine unsterbliche
Seele, aber sie können sich durch gute Taten selbst eine
schaffen. Wir fliegen zu den warmen Ländern, wo die schwüle
Pestluft die Menschen tötet; dort fächeln wir Kühlung.
Wir verbreiten den Duft der Blumen durch die Lüfte und
senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang
danach gestrebt haben, alles Gute zu tun, was wir vermögen,
so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen teil an der
ewigen Glückseligkeit der Menschen. Du arme, kleine Seejungfer
hast von ganzem Herzen dasselbe erstrebt, wie wir. Du hast gelitten
und geduldet, hast dich nun zur Welt der Luftigeister erhoben
und kannst jetzt selbst durch gute Werke dir eine unsterbliche
Seele schaffen nach dreihundert Jahren."
Und die kleine Seejungfer hob ihre durchsichtigen Arme empor
zu Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Tränen
in ihre Augen steigen.- Auf dem Schiffe erwachte wieder Geräusch
und Leben, sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut
nach ihr suchen, wehmütig starrten sie in den wogenden
Schaum, als ob sie wüßten, daß sie sich in
die Wogen gestürzt hatte. Unsichtbar küßte sie
die Stirn der Braut, lächelte dem Prinzen zu und stieg
dann mit den anderen Kindern der Luft zu der rosenroten Wolke
hinauf, die über ihnen dahinsegelte.
"In dreihundert Jahren schweben wir so in Gottes Reich"
"Auch noch frühzeitiger können wir dorthin gelangen!"
flüsterte eine der eine der Lufttöchter ihr zu. "Unsichtbar
schweben wir in die Häuser der Menschen, wo Kinder sind,
und um jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, das seinen
Eltern Freude macht und ihre Liebe verdient, verkürzt Gott
unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir
in die Stube fliegen, und wenn wir vor Freude über ein
Kind lächeln, so wird uns ein Jahr von den dreihundert
geschenkt. Aber wenn wir ein unartiges und böses Kind sehen,
dann müssen wir Tränen des Kummers vergießen,
und jede Träne legt unsere Prüfungszeit einen Tag
hinzu.
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