Gesammeltes Märchen
der Brüder Grimm
Die Erbsenprobe
Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn,
der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um
eine Frau. ’Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein
Sohn,’ sagte der König, ’aber es will sich
nicht schicken daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin,
und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will
ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus
der Ferne.’ Es ging also ein offenes Schreiben aus, und
es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug.
Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung
gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin
war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.
’Wenn das so fortgeht,’ sagte der Prinz, ’so
bekomm ich am Ende gar keine Frau.’ ’Beruhige dich,
mein Söhnchen,’ sagte die Königin, ’eh
du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft
vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.’
Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte.
Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und
Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen
Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes
Mädchen trat herein, das verlangte gleich vor den König
geführt zu werden. Der König wunderte sich über
den späten Besuch, und fragte sie woher sie käme,
wer sie wäre und was sie begehre. ’Ich komme aus
weiter Ferne,’ antwortete sie, ’und bin die Tochter
eines mächtigen Königs. Als eure Bekanntmachung mit
dem Bildnis eures Sohnes in meines Vaters Reich gelangte, habe
ich heftige Liebe zu ihm empfunden und mich gleich auf den Weg
gemacht, in der Absicht seine Gemahlin zu werden.’ ’Das
kommt mir ein wenig bedenklich vor,’ sagte der König,
’auch siehst du mir gar nicht aus wie eine Prinzessin.
Seit wann reist eine Prinzessin allein ohne alles Gefolge und
in so schlechten Kleidern?’ ’Das Gefolge hätte
mich nur aufgehalten,’ erwiderte sie, ’die Farbe
an meinen Kleidern ist in der Sonne verschossen, und der Regen
hat sie vollends herausgewaschen. Glaubt ihr nicht daß
ich eine Prinzessin bin, so sendet nur eine Botschaft an meinen
Vater.’ ’Das ist mir zu weitläuftig,’
sagte der König, ’eine Gesandtschaft kann nicht so
schnell reisen, wie du. Die Leute müssen die nöthige
Zeit dazu haben; es würden Jahre vergehen, ehe sie wieder
zurück kämen. Kannst du nicht auf andere Art beweisen,
daß du eine Prinzessin bist, so blüht hier dein Waizen
nicht, und du thust besser je eher je lieber dich wieder auf
den Heimweg zu machen.’ ’Laß sie nur bleiben,’
sagte die Königin, ’ich will sie auf die Probe stellen,
und will bald wissen ob sie eine Prinzessin ist.’
Die Königin stieg selbst den Thurm hinauf, und ließ
in einem prächtigen Gemach ein Bett zurecht machen. Als
die Matratze herbeigebracht war, legte sie drei Erbsen darauf,
eine oben hin, eine in die Mitte und eine unten hin, dann wurden
noch sechs weiche Matratzen darüber gebreitet, Linnentücher
und eine Decke von Eiderdunen. Wie alles fertig war, führte
sie das Mädchen hinauf in die Schlafkammer. ’Nach
dem weiten Weg wirst du müde sein, mein Kind,’ sagte
sie, ’schlaf dich aus : Morgen wollen wir weiter sprechen.’
Kaum war der Tag angebrochen, so stieg die Königin schon
den Thurm hinauf in die Kammer. Sie dachte das Mädchen
noch in tiefem Schlaf zu finden, aber es war wach. ’Wie
hast du geschlafen, mein Töchterchen?’ fragte sie.
’Erbärmlich,’ antwortete die Prinzessin, ’ich
habe die ganze Nacht kein Auge zugethan.’ ’Warum
? mein Kind, war das Bett nicht gut?’ ’In einem
solchen Bett habe ich mein Lebtag noch nicht gelegen, hart vom
Kopf bis zu den Füßen; es war als wenn ich auf lauter
Erbsen läge.’ ’Ich sehe wohl,’ sagte
die Königin, ’du bist eine echte Prinzessin. Ich
will dir königliche Kleider schicken, Perlen und Edelsteine
: schmücke dich wie eine Braut. Wir wollen noch heute die
Hochzeit feiern.
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