Wilhelm Hauff
Das
kalte Herz (Teil
1)
Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen,
auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der
Bäume wegen, obgleich man nicht überall solch unermeßliche
Menge herrlich aufgeschossener Tannen findet, sondern wegen
der Leute, die sich von den andern Menschen ringsumher merkwürdig
unterscheiden. Sie sind größer als gewöhnliche
Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist,
als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen
strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres
Auge und einen festeren, wenn auch rauheren Mut als den Bewohnern
der Stromtäler und Ebenen gegeben hätte. Und nicht
nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten und Trachten
sondern sie sich von den Leuten, die außerhalb des Waldes
wohnen, streng ab. Am schönsten kleiden sich die Bewohner
des badenschen Schwarzwaldes; die Männer lassen den Bart
wachsen, wie er von Natur dem Mann ums Kinn gegeben ist; ihre
schwarzen Wämser, ihre ungeheuren, enggefalteten Pluderhosen,
ihre roten Strümpfe und die spitzen Hüte, von einer
weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges,
aber etwas Ernstes, Ehrwürdiges. Dort beschäftigen
sich die Leute gewöhnlich mit Glasmachen; auch verfertigen
sie Uhren und tragen sie in der halben Welt umher.
Auf der andern Seite des Waldes wohnt ein Teil desselben Stammes,
aber ihre Arbeiten haben ihnen andere Sitten und Gewohnheiten
gegeben als den Glasmachern. Sie handeln mit ihrem Wald; sie
fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch
die Nagold in den Neckar und von dem oberen Neckar den Rhein
hinab, bis weit hinein nach Holland, und am Meer kennt man die
Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten
an jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob
man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten
und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld
an die Mynheers, welche Schiffe daraus bauen. Diese Menschen
nun sind an ein rauhes, wanderndes Leben gewöhnt. Ihre
Freude ist, auf ihrem Holz die Ströme hinabzufahren, ihr
Leid, am Ufer wieder heraufzuwandeln. Darum ist auch ihr Prachtanzug
so verschieden von dem der Glasmänner im andern Teil des
Schwarzwaldes. Sie tragen Wämser von dunkler Leinwand,
einen handbreiten grünen Hosenträger über die
breite Brust, Beinkleider von schwarzem Leder, aus deren Tasche
ein Zollstab von Messing wie ein Ehrenzeichen hervorschaut;
ihr Stolz und ihre Freude aber sind ihre Stiefel, die größten
wahrscheinlich, welche auf irgendeinem Teil der Erde Mode sind;
denn sie können zwei Spannen weit über das Knie hinaufgezogen
werden, und die »Flözer« können damit
in drei Schuh tiefem Wasser umherwandeln, ohne sich die Füße
naß zu machen.
Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an
Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen törichten
Aberglauben benehmen können. Sonderbar ist es aber, daß
auch die Waldgeister, die der Sage nach im Schwarzwalde hausen,
in diese verschiedenen Trachten sich geteilt haben. So hat man
versichert, daß das »Glasmännlein«, ein
gutes Geistchen von dreieinhalb Fuß Höhe, sich nie
anders zeige als in einem spitzen Hütlein mit großem
Rand, mit Wams und Pluderhöschen und roten Strümpfchen.
Der Holländer-Michel aber, der auf der anderen Seite des
Waldes umgeht, soll ein riesengroßer, breitschultriger
Kerl in der Kleidung der Flözer sein, und mehrere, die
ihn gesehen haben wollen, versichern, daß sie die Kälber
nicht aus ihrem Beutel bezahlen möchten, deren Felle man
zu seinen Stiefeln brauchen würde. »So groß,
daß ein gewöhnlicher Mann bis an den Hals hineinstehen
könnte«, sagten sie und wollten nichts übertrieben
haben.
Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwälder
eine sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzählen
will. Es lebte nämlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau
Barbara Munkin; ihr Gatte war Kohlenbrenner gewesen, und nach
seinem Tode hielt sie ihren sechzehnjährigen Knaben nach
und nach zu demselben Geschäft an.
Der junge Peter Munk, ein schlanker Bursche, ließ es
sich gefallen, weil er es bei seinem Vater auch nicht anders
gesehen hatte, die ganze Woche über am rauchenden Meiler
zu sitzen oder, schwarz und berußt und den Leuten ein
Abscheu, hinab in die Städte zu fahren und seine Kohlen
zu verkaufen. Aber ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken
über sich und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler
saß, stimmten die dunklen Bäume umher und die tiefe
Waldesstille sein Herz zu Tränen und unbewußter Sehnsucht.
Es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, er wußte
nicht recht was. Endlich merkte er sich ab, was ihn ärgerte,
und das war - sein Stand. »Ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner!«
sagte er sich. »Es ist ein elend Leben. Wie angesehen
sind die Glasmänner, die Uhrmacher, selbst die Musikanten
am Sonntag abends! Und wenn Peter Munk, rein gewaschen und geputzt,
in des Vaters Ehrenwams mit silbernen Knöpfen und mit nagelneuen
roten Strümpfen erscheint, und wenn dann einer hinter mir
hergeht und denkt, wer ist wohl der schlanke Bursche? und lobt
bei sich die Strümpfe und meinen stattlichen Gang - sieh,
wenn er vorübergeht und schaut sich um, sagt er gewiß:
'Ach, es ist nur der Kohlenmunk-Peter.'«
Auch die Flözer auf der andern Seite waren ein Gegenstand
seines Neides. Wenn diese Waldriesen.herüberkamen, mit
stattlichen Kleidern, und an Knöpfen, Schnallen und Ketten
einen halben Zentner Silber auf dem Leib trugen, wenn sie mit
ausgespreizten Beinen und vornehmen Gesichtern dem Tanz zuschauten,
holländisch fluchten und wie die vornehmsten Mynheers aus
ellenlangen kölnischen Pfeifen rauchten, da stellte er
sich als das vollendetste Bild eines glücklichen Menschen
solch einen Flözer vor. Und wenn diese Glücklichen
dann erst in die Taschen fuhren, ganze Hände voll großer
Taler herauslangten und um Sechsbätzner würfelten,
fünf Gulden hin, zehn her, so wollten ihm die Sinne vergehen,
und er schlich trübselig nach seiner Hütte; denn an
manchem Feiertagabend hatte er einen oder den andern dieser
»Holzherren« mehr verspielen sehen, als der arme
Vater Munk in einem Jahr verdiente. Es waren vorzüglich
drei dieser Männer, von welchen er nicht wußte, welchen
er am meisten bewundern sollte. Der eine war ein dicker, großer
Mann mit rotem Gesicht und galt für den reichsten Mann
in der Runde. Man hieß ihn den dicken Ezechiel. Er reiste
alle Jahre zweimal mit Bauholz nach Amsterdam und hatte das
Glück, es immer um so viel teurer als andere zu verkaufen,
daß er, wenn die übrigen zu Fuß heimgingen,
stattlich herauffahren konnte. Der andere war der längste
und magerste Mensch im ganzen Wald, man nannte ihn den langen
Schlurker, und diesen beneidete Munk wegen seiner ausnehmenden
Kühnheit; er widersprach den angesehensten Leuten, brauchte,
wenn man noch so gedrängt im Wirtshaus saß, mehr
Platz als vier der Dicksten; denn er stützte entweder beide
Ellbogen auf den Tisch oder zog eines seiner langen Beine zu
sich auf die Bank, und doch wagte ihm keiner zu widersprechen,
denn er hatte unmenschlich viel Geld. Der dritte war ein schöner
junger Mann, der am besten tanzte weit und breit und daher den
Namen Tanzbodenkönig hatte. Er war ein armer Mensch gewesen
und hatte bei einem Holzherrn als Knecht gedient; da wurde er
auf einmal steinreich; die einen sagten, er habe unter einer
alten Tanne einen Topf voll Geld gefunden, die andern behaupteten,
er habe unweit Bingen im Rhein mit der Stechstange, womit die
Flözer zuweilen nach den Fischen stechen, einen Pack mit
Goldstücken heraufgefischt, und der Pack gehöre zu
dem großen Nibelungenhort, der dort vergraben liegt; kurz,
er war auf einmal reich geworden und wurde von jung und alt
angesehen wie ein Prinz.
An diese drei Männer dachte Kohlenmunk-Peter
oft, wenn er einsam im Tannenwald saß. Zwar hatten alle
drei einen Hauptfehler, der sie bei den Leuten verhaßt
machte, es war dies ihr unmenschlicher Geiz, ihre Gefühllosigkeit
gegen Schuldner und Arme; denn die Schwarzwälder sind ein
gutmütiges Völklein; aber man weiß, wie es mit
solchen Dingen geht; waren sie auch wegen ihres Geizes verhaßt,
so standen sie doch wegen ihres Geldes in Ansehen; denn wer
konnte Taler wegwerfen wie sie, als ob man das Geld von den
Tannen schüttelte?
»So geht es nicht mehr weiter«, sagte Peter eines
Tages schmerzlich betrübt zu sich, denn tags zuvor war
Feiertag gewesen und alles Volk in der Schenke, »wenn
ich nicht bald auf den grünen Zweig komme, so tu ich mir
etwas zuleid; wär'ich doch nur so angesehen und reich wie
der dicke Ezechiel oder so kühn und so gewaltig wie der
lange Schlurker oder so berühmt und könnte den Musikanten
Taler statt Kreuzer zuwerfen wie der Tanzbodenkönig! Wo
nur der Bursche das Geld her hat?« Allerlei Mittel ging
er durch, wie man sich Geld erwerben könne, aber keines
wollte ihm gefallen; endlich fielen ihm auch die Sagen von Leuten
ein, die vor alten Zeiten durch den Holländer-NEchel und
durch das Glasmännlein reich geworden waren. Solang' sein
Vater noch lebte, kamen oft andere arme Leute zu Besuch, und
da wurde oft lang und breit von reichen Menschen gesprochen,
und wie sie reich geworden; da spielte nun oft das Glasmännlein
eine Rolle; ja, wenn er recht nachsann, konnte er sich beinahe
noch des Versleins erinnern, das man am Tannenbühl in der
Mitte des Waldes sprechen mußte, wenn es erscheinen sollte.
Es fing an:
»Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn -«
Aber er mochte sein Gedächtnis anstrengen, wie er wollte,
weiter konnte er sich keines Verses mehr entsinnen. Er dachte
oft, ob er nicht diesen oder jenen alten Mann fragen sollte,
wie das Sprüchlein heiße; aber immer hielt ihn eine
gewisse Scheu, seine Gedanken zu verraten, ab, auch schloß
er, es müsse die Sage vom Glasmännlein nicht sehr
bekannt sein und den Spruch müssen nur wenige wissen; denn
es gab nicht viele reiche Leute im Wald, und - warum hatten
denn nicht sein Vater und die andern armen Leute ihr Glück
versucht? Er brachte endlich einmal seine Mutter auf das Männlein
zu sprechen, und diese erzählte ihm, was er schon wußte,
kannte auch nur noch die erste Zeile von dem Spruch und sagte
ihm endlich, nur Leuten, die an einem Sonntag zwischen elf und
zwei Uhr geboren seien, zeige sich das Geistchen. Er selbst
würde wohl dazu passen, wenn er nur das Sprüchlein
wüßte; denn er sei Sonntags mittags zwölf Uhr
geboren.
Als dies der Kohlenmunk-Peter hörte, war er vor Freude
und vor Begierde, dies Abenteuer zu unternehmen, beinahe außer
sich. Es schien ihm hinlänglich, einen Teil des Sprüchleins
zu wissen und am Sonntag geboren zu sein, und Glasmännlein
mußten sich ihm zeigen. Als er daher eines Tages seine
Kohlen verkauft hatte, zündete er keinen neuen Meiler an,
sondern zog seines Vaters Staatswams und neue rote Strümpfe
an, setzte den Sonntagshut auf, faßte seinen fünf
Fuß hohen Schwarzdornstock in die Hand und nahm von der
Mutter Abschied: »Ich muß aufs Amt in die Stadt,
denn wir werden bald spielen müssen, wer Soldat wird, und
da will ich dem Amtmann nur noch einmal einschärfen, daß
Ihr Witwe seid und ich Euer einziger Sohn.« Die Mutter
lobte seinen Entschluß, er aber machte sich auf nach dem
Tannenbühl. Der Tannenbühl liegt auf der höchsten
Höhe des Schwarzwaldes, und auf zwei Stunden im Umkreis
stand damals kein Dorf, ja nicht einmal eine Hütte; denn
die abergläubischen Leute meinten, es sei dort unsicher.
Man schlug auch, so hoch und prachtvoll dort die Tannen standen,
ungern Holz in jenem Revier; denn oft waren den Holzhauern,
wenn sie dort arbeiteten, die Äxte vom Stiel gesprungen
und in den Fuß gefahren, oder die Bäume waren schnell
umgestürzt und hatten die Männer mit umgerissen und
beschädigt oder gar getötet; auch hätte man die
schönsten Bäume von dorther nur zu Brennholz brauchen
können, denn die Floßherren nahmen nie einen Stamm
aus dem Tannenbühl unter ein Floß auf, weil die Sage
ging, daß Mann und Holz verunglücke, wenn ein Tannenbühler
mit im Wasser sei. Daher kam es, daß im Tannenbühl
die Bäume so dicht und so hoch standen, daß es am
hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter Munk wurde es ganz schaurig
dort zumute; denn er hörte keine Stimme, keinen Tritt als
den seinigen, keine Axt; selbst die Vögel schienen diese
dichte Tannennacht zu vermeiden.
Kohlenmunk-Peter hatte jetzt den höchsten Punkt des Tannenbühls
erreicht und stand vor einer Tanne von ungeheurem Umfang, um
die ein holländischer Schiffsherr an Ort und Stelle viele
hundert Gulden gegeben hätte. »Hier«, dachte
er, »wird wohl der Schatzhauser wohnen«, zog seinen
großen Sonntagshut, machte vor dem Baum eine tiefe Verbeugung,
räusperte sich und sprach mit zitternder Stimme: »Wünsche
glückseligen Abend, Herr Glasmann.« Aber es erfolgte
keine Antwort, und alles umher war so still wie zuvor. »Vielleicht
muß ich doch das Verslein sprechen«, dachte er weiter
und murmelte:
»Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn -«
Indem er diese Worte sprach, sah er zu seinem großen
Schrekken eine ganz kleine, sonderbare Gestalt hinter der dicken
Tanne hervorschauen; es war ihm, als habe er das Glasmännlein
gesehen, wie man es beschrieben, das schwarze Wämschen,
die roten Strümpfchen, das Hütchen, alles war so,
selbst das blasse, aber feine und kluge Gesichtchen, wovon man
erzählte, glaubte er gesehen zu haben. Aber ach, so schnell
es hervorgeschaut hatte, das Glasmännlein, so schnell war
es auch wieder verschwunden! »Herr Glasmann«, rief
nach einigem Zögern Peter Munk, »seid so gütig
und haltet mich nicht zum Narren. - Herr Glasmann, wenn Ihr
meint, ich habe Euch nicht gesehen, so täuschet Ihr Euch
sehr, ich sah Euch wohl hinter dem Baum hervorgucken.«
Immer keine Antwort, nur zuweilen glaubte er ein leises, heiseres
Kichern hinter dem Baum zu vernehmen. Endlich überwand
seine Ungeduld die Furcht, die ihn bis jetzt noch abgehalten
hatte. »Warte, du kleiner Bursche«, rief er, »dich
will ich bald haben!«, sprang mit einem Satz hinter die
Tanne, aber da war kein Schatzhauser im grünen Tannenwald,
und nur ein kleines, zierliches Eichhörnchen jagte an dem
Baum hinauf.
Peter Munk schüttelte den Kopf; er sah ein, daß
er die Beschwörung bis auf einen gewissen Grad gebracht
habe und daß ihm vielleicht nur noch ein Reim zu dem Sprüchlein
fehle, so könne er das Glasmännlein hervorlocken;
aber er sann hin, er sann her, und fand nichts. Das Eichhörnchen
zeigte sich an den untersten Ästen der Tanne und schien
ihn aufzumuntern oder zu verspotten. Es putze sich, es rollte
den schönen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an,
aber endlich fürchtete er sich doch beinahe, mit diesem
Tier allein zu sein; denn bald schien das Eichhörnchen
einen Menschenkopf zu haben und einen dreispitzigen Hut zu tragen,
bald war es ganz wie ein anderes Eichhörnchen und hatte
nur an den Hinterfüßen rote Strümpfe und schwarze
Schuhe. Kurz, es war ein lustiges Tier; aber dennoch graute
Kohlenpeter; denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen
zu.
Mit schnelleren Schritten, als er gekommen war, zog Peter wieder
ab. Das Dunkel des Tannenwaldes schien immer schwärzer
zu werden, die Bäume standen immer dichter, und ihm fing
an so zu grauen, daß er im Trab davonjagte, und erst,
als er in der Ferne Hunde bellen hörte und bald darauf
den Rauch einer Hütte erblickte, wurde er wieder ruhiger.
Aber als er näher kam und die Tracht der Leute in der Hütte
erblickte, fand er, daß er aus Angst gerade die entgegengesetzte
Richtung genommen und statt zu den Glasleuten zu den Flözern
gekommen sei. Die Leute, die in der Hütte wohnten, waren
Holzfäller; ein alter Mann, sein Sohn, der Hauswirt und
einige erwachsene Enkel. Sie nahmen Kohlenmunk-Peter, der um
ein Nachtlager bat, gut auf, ohne nach seinem Namen und Wohnort
zu fragen, gaben ihm Apfelwein zu trinken, und abends wurde
ein großer Auerhahn aufgesetzt.
Nach dem Nachtessen setzten sich die Hausfrau und ihre Töchter
mit ihren Kunkeln um den großen Lichtspan, den die Jungen
mit dem feinsten Tannenharz unterhielten, der Großvater,
der Gast und der Hauswirt rauchten und schauten den Weibem zu,
die Burschen aber waren beschäftigt, Löffel und Gabeln
aus Holz zu schnitzeln. Draußen im Wald heulte der Sturm
und raste in den Tannen, man hörte da und dort sehr heftige
Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgeknickt
würden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten
hinaus in den Wald laufen und dieses furchtbar schöne Schauspiel
mit ansehen, ihr Großvater aber hielt sie mit strengem
Wort und Blick zurück. »Ich will keinem raten, daß
er jetzt vor die Tür geht«, rief er ihnen zu, »bei
Gott, der kommt nimmermehr wieder; denn der Holländer-
Michel haut sich heute nacht ein neues G'stair (Floßgelenke)
im Wald.«
Die Kleinen staunten ihn an; sie mochten von dem Holländer-Michel
schon gehört haben, aber sie baten jetzt den Ehni, einmal
recht schön von jenem zu erzählen. Auch Peter Munk,
der vom Holländer-Michel auf der anderen Seite des Waldes
nur undeutlich hatte sprechen hören, stimmte mit ein und
fragte den Alten, wer und wo er sei. »Er ist der Herr
dieses Waldes, und nach dem zu schließen, daß Ihr
in Eurem Alter dies noch nicht erfahren, müßt Ihr
drüben über dem Tannenbühl oder wohl gar noch
weiter zu Hause sein. Vom Holländer- Michel will ich Euch
aber erzählen, was ich weiß, und wie die Sage von
ihm geht. Vor etwa hundert Jahren, so erzählte es wenigstens
mein Ehni, war weit und breit kein ehrlicheres Volk auf Erden
als die Schwarzwälder. Jetzt, seit so viel Geld im Land
ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. Die jungen Burschen
tanzen und johlen am Sonntag und fluchen, daß es ein Schrecken
ist; damals war es aber anders, und wenn er jetzt zum Fenster
dort hereinschaute, so sag' ich's und hab' es oft gesagt, der
Holländer-Michel ist schuld an all dieser Verderbnis. Es
lebte also vor hundert Jahren und drüber ein reicher Holzherr,
der viel Gesind hatte; er handelte bis weit in den Rhein hinab,
und sein Geschäft war gesegnet, denn er war ein frommer
Mann. Kommt eines Abends ein Mann an seine Türe, dergleichen
er noch nie gesehen. Seine Kleidung war wie die der Schwarzwälder
Burschen, aber er war einen guten Kopf höher als alle,
und man hatte noch nie geglaubt, daß es einen solchen
Riesen geben könne. Dieser bittet um Arbeit bei dem Holzherrn,
und der Holzherr, der ihm ansah, daß er stark und zu großen
Lasten tüchtig sei, rechnet mit ihm seinen Lohn, und sie
schlagen ein. Der Michel war ein Arbeiter, wie selbiger Holzherr
noch keinen gehabt. Beim Baumschlagen galt er für drei,
und wenn sechs an einem Ende schleppten, trug er allein das
andere. Als er aber ein halb Jahr Holz geschlagen, trat er eines
Tages vor seinen Herrn und begehrte von ihm: "Hab' jetzt
lang genug hier Holz gehackt, und so möcht' ich auch sehen,
wohin meine Stämme kommen, und wie wär' es, wenn Ihr
mich auch 'nmal auf das Floß ließet?"
Der Holzherr antwortete: "Ich will dir nicht im Weg sein,
Michel, wenn du ein wenig hinaus willst in die Welt, und zwar
beim Holzfällen brauche ich starke Leute, wie du bist,
auf dem Floß aber kommt es auf Geschicklichkeit an, aber
es sei für diesmal."
Und so war es; das Floß, mit dem er abgehen sollte, hatte
acht Glaich (Glieder), und waren im letzten von den größten
Zimmerbalken. Aber was geschah? Am Abend zuvor bringt der lange
Michel noch acht Balken ans Wasser, so dick und lang, als man
keinen je sah, und jeden trug er so leicht auf der Schulter
wie eine Flözerstange, so daß sich alles entsetzte.
Wo er sie gehauen, weiß bis heute noch niemand. Dem Holzherrn
lachte das Herz, als er dies sah; denn er berechnete, was diese
Balken kosten könnten; Michel aber sagte: "So, die
sind für mich zum Fahren; auf den kleinen Spänen dort
kann ich nicht fortkommen." Sein Herr wollte ihm zum Dank
ein paar Flözerstiefel schenken; aber er warf sie auf die
Seite und brachte ein Paar hervor, wie es sonst keine gab; mein
Großvater hat versichert, sie haben hundert Pfund gewogen
und seien fünf Fuß lang gewesen.
Das Floß fuhr ab, und hatte der Michel früher die
Holzhauer in Verwunderung gesetzt, so staunten jetzt die Flözer;
denn statt daß das Floß, wie man wegen der ungeheuern
Balken geglaubt hatte, langsamer auf dem Fluß ging, flog
es, sobald sie in den Neckar kamen, wie ein Pfeil; machte der
Neckar eine Wendung und hatten sonst die Flözer Mühe
gehabt, das Floß in der Mitte zu halten, um nicht auf
Kies oder Sand zu stoßen, so sprang jetzt Michel allemal
ins Wasser, rückte mit einem Zug das Floß links oder
rechts, so daß es ohne Gefahr vorüberglitt, und kam
dann eine gerade Stelle, so lief er aufs erste G'stair (Gelenk)
vor, ließ alle ihre Stangen beisetzen, steckte seinen
ungeheuren Weberbaum in den Kies, und mit einem Druck flog das
Floß dahin, daß das Land und Bäume und Dörfer
vorbeizujagen schienen. So waren sie in der Hälfte der
Zeit, die man sonst brauchte, nach Köln am Rhein gekommen,
wo sie sonst ihre Ladung verkauft hatten; aber hier sprach Michel:
"Ihr seid mir rechte Kaufleute und versteht euren Nutzen!
Meinet ihr denn, die Kölner brauchen all dies Holz, das
aus dem Schwarzwald kommt, für sich? Nein, um den halben
Wert kaufen sie es euch ab und verhandeln es teuer nach Holland.
Lasset uns die kleinen Balken hier verkaufen und mit den großen
nach Holland gehen; was wir über den gewöhnlichen
Preis lösen, ist unser eigener Profit."
So sprach der arglistige Michel, und die anderen waren es zufrieden;
die einen, weil sie gerne nach Holland gezogen wären, es
zu sehen, die anderen des Geldes wegen. Nur ein einziger war
redlich und mahnte sie ab, das Gut ihres Herrn der Gefahr auszusetzen
oder ihn um den höheren Preis zu betrügen, aber sie
hörten nicht auf ihn und vergaßen seine Worte, aber
der Holländer-Michel vergaß sie nicht. Sie fuhren
auch mit dem Holz den Rhein hinab, und Michel leitete das Floß
und brachte sie schnell bis nach Rotterdam. Dort bot man ihnen
das Vierfache von dem früheren Preis, und besonders die
ungeheuren Balken des Michel wurden mit schwerem Geld bezahlt.
Als die Schwarzwälder so viel Geld sahen, wußten
sie sich vor Freude nicht zu fassen. Michel teilte ab, einen
Teil dem Holzherrn, die drei anderen unter die Männer.
Und nun setzten sie sich mit Matrosen und anderem schlechten
Gesindel in die Wirtshäuser, verschlemmten und verspielten
ihr Geld; den braven Mann aber, der ihnen abgeraten, verkaufte
der Holländer-Michel an einen Seelenverkäufer, und
man hat nichts mehr von ihm gehört. Von da an war den Burschen
im Schwarzwald Holland das Paradies und Holländer-Michel
ihr König; die Holzherren erfuhren lange nichts von dem
Handel, und unvermerkt kamen Geld, Flüche, schlechte Sitten,
Trunk und Spiel aus Holland herauf.
Der Holländer-Michel war, als die Geschichte herauskam,
nirgends zu finden, aber tot ist er auch nicht; seit hundert
Jahren treibt er seinen Spuk im Wald, und man sagt, daß
er schon vielen behilflich gewesen sei, reich zu werden, aber
- auf Kosten ihrer armen Seele, und mehr will ich nicht sagen.
Aber so viel ist gewiß, daß er noch jetzt in solchen
Sturmnächten im Tannenbühl, wo man nicht hauen soll,
überall die schönsten Tannen aussucht, und mein Vater
hat ihn eine vier Schuh dicke umbrechen sehen wie ein Rohr.
Mit diesen beschenkt er die, welche sich vom Rechten abwenden
und zu ihm gehen; um Mitternacht bringen sie dann die G'stair
ins Wasser, und er rudert mit ihnen nach Holland. Aber wäre
ich Herr und König in Holland, ich ließe ihn mit
Kartätschen in den Boden schmettern; denn alle Schiffe,
die von dem Holländer-Michel auch nur einen Balken haben,
müssen untergehen. Daher kommt es, daß man von so
vielen Schiffbrüchigen hört; wie könnte denn
sonst ein schönes, starkes Schiff , so groß als eine
Kirche, zugrund gehen auf dem Wasser? Aber so oft Holländer-Michel
in einer Sturmnacht im Schwarzwald eine Tanne fällt, springt
eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes; das Wasser dringt
ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren. Das ist
die Sage vom Holländer-Michel, und wahr ist es, alles Böse
im Schwarzwald schreibt sich von ihm her; o! Er kann einen reich
machen«, setzte der Greis geheimnisvoll hinzu, »aber
ich möchte nichts von ihm haben; ich möchte um keinen
Preis in der Haut des dicken Ezechiel und des langen Schlurkers
stecken; auch der Tanzbodenkönig soll sich ihm ergeben
haben!« Der Sturm hatte sich während der Erzählung
des Alten gelegt; die Mädchen zündeten schüchtern
die Lampen an und gingen weg; die Männer aber legten Peter
Munk einen Sack voll Laub als Kopfkissen auf die Ofenbank und
wünschten ihm gute Nacht.
Kohlenmunk-Peter hatte noch nie so schwere Träume gehabt
wie in dieser Nacht; bald glaubte er, der finstere, riesige
Holländer-Michel reiße die Stubenfenster auf und
reiche mit seinem ungeheuer langen Arm einen Beutel voll Goldstücke
herein, die er untereinander schüttelte, daß es hell
und lieblich klang; bald sah er wieder das kleine, freundliche
Glasmännchen auf einer ungeheuren grünen Flasche im
Zimmer umherreiten, und er meinte das heisere Lachen wiederzuhören
wie im Tannenbühl; dann brummte es ihm wieder ins linke
Ohr:
»In Holland gibt's Gold!
Könnet's haben, wenn Ihr wollt
Um geringen Sold
Gold, Gold!«
Dann hörte er wieder in sein rechtes Ohr das Liedchen
vom Schatzhauser im grünen Tannenwald, und eine zarte Stimme
flüsterte: »Dummer Kohlenpeter, dummer Peter Munk,
kannst kein Sprüchlein reimen auf stehen, und bist doch
am Sonntag geboren Schlag zwölf Uhr. Reime, dummer Peter,
reime!«
Er ächzte, er stöhnte im Schlaf, er mühte sich
ab, einen Reim zu finden, aber da er in seinem Leben noch keinen
gemacht hatte, war seine Mühe im Traume vergebens. Als
er aber mit dem ersten Frührot erwachte, kam ihm doch sein
Traum sonderbar vor; er setzte sich mit verschränkten Armen
hinter den Tisch und dachte über die Einflüsterungen
nach, die ihm noch immer im Ohr lagen; »reime, dummer
Kohlenmunk-Peter, reime«, sprach er zu sich und pochte
mit dem Finger an seine Stirn, aber es wollte kein Reim hervorkommen.
Als er noch so dasaß und trübe vor sich hinschaute
und an den Reim auf stehen dachte, da zogen drei Burschen vor
dem Hause vorbei in den Wald, und einer sang im Vorübergehen:
»Am Berge tat ich stehen,
Und schaute in das Tal,
Da hab' ich sie gesehen
Zum allerletztenmal.«
Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr, und hastig
raffte er sich auf, stürzte aus dem Haus, weil er meinte,
nicht recht gehört zu haben, sprang den drei Burschen nach
und packte den Sänger hastig und unsanft beim Arm. »Halt,
Freund!« rief er, »was habt Ihr da auf stehen gereimt,
tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen.«
»Was ficht's dich an, Bursche?« entgegnete der
Schwarzwälder. »Ich kann singen, was ich will, und
laß gleich meinen Arm los, oder -«
»Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!«
schrie Peter beinahe außer sich und packte ihn noch fester
an; die zwei anderen aber, als sie dies sahen, zögerten
nicht lange, sondern fielen mit derben Fäusten über
den armen Peter her und walkten ihn derb, bis er vor Schmerzen
das Gewand des dritten ließ und erschöpft in die
Knie sank. »Jetzt hast du dein Teil«, sprachen sie
lachend, »und merk dir, toller Bursche, daß du Leute,
wie wir sind, nimmer anfällst auf offenem Wege.«
»Ach, ich will mir es gewißlich merken!«
erwiderte Kohlenpeter seufzend, »aber so ich die Schläge
habe, seid so gut und saget deutlich, was jener gesungen!«
Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus; aber der das
Lied gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen
sie weiter.
»Also sehen«, sprach der arme Geschlagene, indem
er sich mühsam aufrichtete, »sehen auf stehen - jetzt,
Glasmännlein, wollen wir wieder ein Wort zusammen sprechen.«
Er ging in die Hütte, holte seinen Hut und den langen Stock,
nahm Abschied von den Bewohnern der Hütte und trat seinen
Rückweg nach dem Tannenbühl an. Er ging langsam und
sinnend seine Straße, denn er mußte ja einen Vers
ersinnen; endlich, als er schon in dem Bereich des Tannenbühls
ging und die Tannen höher und dichter wurden, hatte er
auch seinen Vers gefunden und machte vor Freude einen Sprung
in die Höhe. Da trat ein riesengroßer Mann in Flözerkleidung
und eine Stange so lang wie ein Mastbaum in der Hand hinter
den Tannen hervor. Peter Munk sank beinahe in die Knie, als
er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er
dachte, das ist der Holländer-Michel und kein anderer.
Noch immer schwieg die furchtbare Gestalt, und Peter schielte
zuweilen furchtsam nach ihm hin. Er war wohl einen Kopf größer
als der längste Mann, den Peter je gesehen; sein Gesicht
war nicht mehr jung, doch auch nicht alt, aber voll Furchen
und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die ungeheuren
Stiefel, über die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren
Peter aus der Sage wohlbekannt.
»Peter Munk, was tust du im Tannenbühl?« fragte
der Waldkönig endlich mit tiefer, dröhnender Stimme.
»Guten Morgen, Landsmann«, antwortete Peter, indem
er sich unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte, »ich
will durch den Tannenbühl nach Haus zurück.«
»Peter Munk«, erwiderte jener und warf einen stechenden,
furchtbaren Blick nach ihm herüber, »dein Weg geht
nicht durch diesen Hain.«
»Nun, so gerade just nicht«, sagte jener, »aber
es macht heute warm, da dachte ich, es wird hier kühler
sein.«
»Lüge nicht, du, Kohlenpeter!« rief Holländer-Michel
mit donnernder Stimme, »oder ich schlag' dich mit der
Stange zu Boden; meinst, ich hab' dich nicht betteln sehen bei
dem Kleinen?« setzte er sanft hinzu. »Geh, geh,
das war ein dummer Streich, und gut ist es, daß du das
Sprüchlein nicht wußtest; er ist ein Knauser, der
kleine Kerl, und gibt nicht viel, und wem er gibt, der wird
seines Lebens nicht froh. Peter, du bist ein armer Tropf und
dauerst mich in der Seele; so ein munterer, schöner Bursche,
der in der Welt was anfangen könnte, und sollst Kohlen
brennen! Wenn andere große Taler oder Dukaten aus dem
Ärmel schütteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden;
's ist ein ärmlich Leben.«
»Wahr ist's, und recht habt Ihr, ein elendes Leben.«
»Na, mir soll's nicht drauf ankommen«, fuhr der
schreckliche Michel fort, »hab' schon manchem braven Kerl
aus der Not geholfen, und du wärest nicht der erste. Sag'
einmal, wieviel hundert Taler brauchst du fürs erste?»
Bei diesen Worten schüttelte er das Geld in seiner ungeheuren
Tasche untereinander, und es klang wieder wie diese Nacht im
Traum. Aber Peters Herz zuckte ängstlich und schmerzhaft
bei diesen Worten, es wurde ihm kalt und warm, und der Holländer-Michel
sah nicht aus, wie wenn er aus Mitleid Geld wegschenkte, ohne
etwas dafür zu verlangen. Es fielen ihm die geheimnisvollen
Worte des alten Mannes über die reichen Menschen ein, und
von unerklärlicher Angst und Bangigkeit gejagt, rief er:
»Schönen Dank, Herr! Aber mit Euch will ich nichts
zu schaffen haben, und ich kenn' Euch schon«, und lief,
was er laufen konnte.
Aber der Waldgeist schritt mit ungeheuren Schritten neben ihm
her und murmelte dumpf und drohend: »Wirst's noch bereuen,
Peter, auf deiner Stirne steht's geschrieben, in deinem Auge
ist's zu lesen; du entgehst mir nicht. Lauf nicht so schnell,
höre nur noch ein vernünftges Wort, dort ist schon
meine Grenze!«
Aber als Peter dies hörte und unweit vor ihm einen kleinen
Graben sah, beeilte er sich nur noch mehr, über die Grenze
zu kommen, so daß Michel am Ende schneller laufen mußte
und unter Flüchen und Drohungen ihn verfolgte. Der junge
Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung über den Graben;
denn er sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte und
sie auf ihn niederschmettern lassen wollte; er kam glücklich
jenseits an, und die Stange zersplitterte in der Luft, wie an
einer unsichtbaren Mauer, und ein langes Stück fiel zu,
Peter herüber. Triumphierend hob er es auf, um es dem groben
Holländer-Michel zuzuwerfen; aber in diesem Augenblick
fühlte er das Stück Holz in seiner Hand sich bewegen,
und zu seinem Entsetzen sah er, daß es eine ungeheure
Schlange sei, was er in der Hand hielt, die sich schon mit geifernder
Zunge und mit blitzenden Augen an ihm hinaufbäumte. Er
ließ sie los; aber sie hatte sich schon fest um seinen
Arm gewickelt und kam mit schwankendem Kopfe seinem Gesicht
immer näher; da rauschte auf einmal ein ungeheurer Auerhahn
nieder, packte den Kopf der Schlange mit dem Schnabel, erhob
sich mit ihr in die Lüfte, und Holländer-Michel, der
dies alles von dem Graben aus gesehen hatte, heulte und schrie
und raste, als die Schlange von einem Gewaltigeren entführt
ward.
Erschöpft und zitternd setzte Peter seinen Weg fort; der
Pfad wurde steiler, die Gegend wilder, und bald befand er sich
an der ungeheuren Tanne. Er machte wieder seine Verbeugungen
gegen das unsichtbare Glasmännlein und hub dann an:
»Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt,
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Läßt dich nur Sonntagskindern sehn.«
»Hast's zwar nicht ganz getroffen; aber weil du es bist,
Kohlenmunk-Peter, so soll es hingehen«, sprach eine zarte,
feine Stimme neben ihm. Erstaunt sah er sich um, und unter einer
schönen Tanne saß ein kleines, altes Männlein
in schwarzem Wams und roten Strümpfen und den großen
Hut auf dem Kopf. Er hatte ein feines, freundliches Gesichtchen
und ein Bärtchen so zart wie aus Spinnweben; er rauchte,
was sonderbar anzusehen war, aus einer Pfeife von blauem Glas,
und als Peter näher trat, sah er zu seinem Erstaunen, daß
auch Kleider, Schuhe und Hut des Kleinen aus gefärbtem
Glas bestanden; aber es war geschmeidig, als ob es noch heiß
wäre; denn es schmiegte sich wie Tuch nach jeder Bewegung
des Männleins.
»Du bist dem Flegel begegnet, dem Holländer-Michel?«
sagte der Kleine, indem er zwischen jedem Wort sonderbar hüstelte,
»er hat dich recht ängstigen wollen, aber seinen
Kunstprügel habe ich ihm abgejagt, den soll er nimmer wiederkriegen.«
»Ja, Herr Schatzhauser«, erwiderte Peter mit einer
tiefen Verbeugung, »es war mir recht bange. Aber Ihr seid
wohl der Herr Auerhahn gewesen, der die Schlange totgebissen;
da bedanke ich mich schönstens. Ich komme aber, um mir
Rat zu holen bei Euch; es geht mir gar schlecht und hinderlich;
ein Kohlenbrenner bringt es nicht weit, und da ich noch jung
bin, dächte ich doch, es könnte noch was Besseres
aus mir werden; und wenn ich oft andere sehe, wie weit die es
in kurzer Zeit gebracht haben; wenn ich nur den Ezechiel nehme
und den Tanzbodenkönig, die haben Geld wie Heu.«
»Peter«, sagte der Kleine sehr ernst und blies
den Rauch aus seiner Pfeife weit hinweg; »Peter, sag mir
nichts von diesen. Was haben sie davon, wenn sie hier ein paar
Jahre dem Schein nach glücklich und dann nachher desto
unglücklicher sind? Du mußt dein Handwerk nicht verachten;
dein Vater und Großvater waren Ehrenleute und haben es
auch getrieben, Peter Munk! Ich will nicht hoffen, daß
es Liebe zum Müßiggang ist, was dich zu mir führt.«
Peter erschrak vor dem Ernst des Männleins und errötete.
»Nein«, sagte er, »Müßiggang ist
aller Laster Anfang, aber das könnet Ihr mir nicht übelnehmen,
wenn mir ein anderer Stand besser gefällt als der meinige.
Ein Kohlenbrenner ist halt so gar etwas Geringes auf der Welt,
und die Glasleute und Flözer und Uhrmacher und alle sind
angesehener.«
»Hochmut kommt oft vor dem Fall«, erwiderte der
kleine Herr vom Tannenwald etwas freundlicher. »Ihr seid
ein sonderbar Geschlecht, ihr Menschen! Selten ist einer mit
dem Stand ganz zufrieden, in dem er geboren und erzogen ist,
und was gilt's, wenn du ein Glasmann wärest, möchtest
du gern ein Holzherr sein, und wärest du Holzherr, so stünde
dir des Försters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an. Aber
es sei: Wenn du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir
zu etwas Besserem verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind,
das sich zu mir zu finden weiß, drei Wünsche zu gewähren.
Die ersten zwei sind frei; den dritten kann ich verweigern,
wenn er töricht ist. So wünsche dir also jetzt etwas;
aber - Peter, etwas Gutes und Nützliches!«
»Heisa! Ihr seid ein treffliches Glasmännlein, und
mit Recht nennt man Euch Schatzhauser, denn bei Euch sind die
Schätze zu Hause. Nu - und also darf ich wünschen,
wonach mein Herz begehrt, so will ich denn fürs erste,
daß ich noch besser tanzen könne als der Tanzbodenkönig;
und jedesmal noch einmal so viel Geld ins Wirtshaus bringe als
er.«
»Du Tor!« erwiderte der Kleine zürnend. »Welch
ein erbärmlicher Wunsch ist dies, gut tanzen zu können
und Geld zum Spiel zu haben! Schämst du dich nicht, dummer
Peter, dich selbst so um dein Glück zu betrügen? Was
nützt es dir und deiner armen Mutter, wenn du tanzen kannst?
Was nützt dir dein Geld, das nach deinem Wunsch nur für
das Wirtshaus ist und wie das des elenden Tanzbodenkönigs
dort bleibt? Dann hast du wieder die ganze Woche nichts und
darbst wie zuvor. Noch einen Wunsch gebe ich dir frei; aber
sieh dich vor, daß du vernünftiger wünschest!«
Peter kratzte sich hinter den Ohren und sprach nach einigem
Zögern: »Nun, so wünsche ich mir die schönste
und reichste Glashütte im ganzen Schwarzwald mit allem
Zubehör und Geld, sie zu leiten.«
»Sonst nichts?« fragte der Kleine mit besorglicher
Miene. »Peter, sonst nichts?»
»Nun - Ihr könnet noch ein Pferd dazutun und ein
Wägelchen -«
»Oh, du dummer Kohlenmunk-Peter!« rief der Kleine
und warf seine gläserne Pfeife im Unmut an eine dicke Tanne,
daß sie in hundert Stücke sprang. »Pferde?
Wägelchen? Verstand, sag' ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand
und Einsicht hättest du wünschen sollen, aber nicht
Pferdchen und Wägelchen. Nun, werde nur nicht so traurig,
wir wollen sehen, daß es auch so nicht zu deinem Schaden
ist; denn der zweite Wunsch war im ganzen nicht töricht.
Eine gute Glashütte nährt auch ihren Mann und Meister;
nur hättest du Einsicht und Verstand dazu mitnehmen können,
Wagen und Pferde wären dann wohl von selbst gekommen.«
»Aber, Herr Schatzhauser«, erwiderte Peter, »ich
habe ja noch einen Wunsch übrig; da könnte ich ja
Verstand wünschen, wenn er mir so nötig ist, wie Ihr
meinet.«
»Nichts da; du wirst noch in manche Verlegenheit kommen,
wo du froh sein wirst, wenn du noch einen Wunsch frei hast;
und nun mache dich auf den Weg nach Hause. Hier sind«,
sprach der kleine Tannengeist, indem er ein kleines Beutelein
aus der Tasche zog, »hier sind zweitausend Gulden, und
damit genug, und komm mir nicht wieder, um Geld zu fordern,
denn dann müßte ich dich an die höchste Tanne
aufhängen! So hab' ich's gehalten, seit ich in dem Wald
wohne. Vor drei Tagen aber ist der alte Winkfritz gestorben,
der die große Glashütte gehabt hat im Unterwald.
Dorthin gehe morgen frühe und mach ein Bot auf das Gewerbe,
wie es recht ist! Halt dich wohl, sei fleißig, und ich
will dich zuweilen besuchen und dir mit Rat und Tat an die Hand
gehen, weil du dir doch keinen Verstand erbeten. Aber, das sag'
ich dir ernstlich, dein erster Wunsch war böse. Nimm dich
in acht vor dem Wirtshauslaufen, Peter! 's hat noch bei keinem
lange gut getan.« Das Männlein hatte, während
es dies sprach, eine neue Pfeife vom schönsten Beinglas
hervorgezogen, sie mit gedörrten Tannenzapfen gestopft
und in den kleinen, zahnlosen Mund gesteckt. Dann zog es ein
ungeheures Brennglas hervor, trat in die Sonne und zündete
seine Pfeife an. Als er damit fertig war, bot er dem Peter freundlich
die Hand, gab ihm noch ein paar gute Lehren auf den Weg, rauchte
und blies immer schneller und verschwand endlich in einer Rauchwolke,
die nach echtem holländischem Tabak roch und, langsam sich
kräuselnd, in den Tannenwipfeln vorschwebte.
Als Peter nach Hause kam, fand er seine Mutter sehr in Sorgen
um ihn; denn die gute Frau glaubte nicht anders, als ihr Sohn
sei zum Soldaten ausgehoben worden. Er aber war fröhlich
und guter Dinge und erzählte ihr, wie er im Walde einen
guten Freund getroffen, der ihm Geld vorgeschossen habe, um
ein anderes Geschäft als Kohlenbrennen anzufangen. Obgleich
seine Mutter schon seit dreißig Jahren in der Köhlerhütte
wohnte und an den Anblick berußter Leute so gewöhnt
war als jede Müllerin an das Mehlgesicht ihres Mannes,
so war sie doch eitel genug, sobald ihr Peter ein glänzenderes
Los zeigte, ihren früheren Stand zu verachten und sprach:
»Ja, als Mutter eines Mannes, der eine Glashütte
besitzt, bin ich doch was anderes als Nachbarin Grete und Bete
und setze mich in Zukunft vornehin in der Kirche, wo rechte
Leute sitzen.«
Ihr Sohn aber wurde mit den Erben der Glashütte bald handelseinig;
er behielt die Arbeiter, die er vorfand, bei sich und ließ
nun Tag und Nacht Glas machen. Anfangs gefiel ihm das Handwerk
wohl; er pflegte gemächlich in die Glashütte hinabzusteigen,
ging dort mit vornehmen Schritten, die Hände in die Taschen
gesteckt, hin und her, guckte dahin, guckte dorthin, sprach
dies und jenes, worüber seine Arbeiter oft nicht wenig
lachten, und seine größte Freude war, das Glas blasen
zu sehen, und oft machte er sich selbst an die Arbeit und formte
aus der noch weichen Masse die sonderbarsten Figuren. Bald aber
war ihm die Arbeit entleidet, und er kam zuerst nur noch eine
Stunde des Tages in die Hütte, dann nur alle zwei Tage,
endlich die Woche nur einmal, und seine Gesellen machten, was
sie wollten.
Das alles kam aber nur vom Wirtshauslaufen. Den Sonntag, nachdem
er vom Tannenbühl zurückgekommen war, ging er ins
Wirtshaus, und wer schon auf dem Tanzboden sprang, war der Tanzbodenkönig,
und der dicke Ezechiel saß auch schon hinter der Maßkanne
und knöchelte um Kronentaler. Da fuhr Peter schnell in
die Tasche, zu sehen, ob ihm das Glasmännlein Wort gehalten,
und siehe, seine Tasche strotzte von Silber und Gold. Auch in
seinen Beinen zuckte und drückte es, wie wenn sie tanzen
und springen wollten, und als der erste Tanz zu Ende war, stellte
er sich mit seiner Tänzerin oben an neben den Tanzbodenkönig,
und sprang dieser drei Schuh hoch, so flog Peter vier, und machte
dieser wunderliche und zierliche Schritte, so verschlang und
drehte Peter seine Füße, daß alle Zuschauer
vor Lust und Verwunderung beinahe außer sich kamen. Als
man aber auf dem Tanzboden vernahm, daß Peter eine Glashütte
gekauft habe, als man sah, daß er, so oft er an den Musikanten
vorbeitanzte, ihnen einen Sechsbätzner zuwarf, da war des
Staunens kein Ende. Die einen glaubten, er habe einen Schatz
im Walde gefunden, die anderen meinten, er habe eine Erbschaft
getan, aber alle verehrten ihn jetzt und hielten ihn für
einen gemachten Mann, nur weil er Geld hatte. Verspielte er
doch noch an demselben Abend zwanzig Gulden, und nichtsdestominder
rasselte und klang es in seiner Tasche, wie wenn noch hundert
Taler darin wären.
Als Peter sah, wie angesehen er war, wußte er sich vor
Freude und Stolz nicht zu fassen. Er warf das Geld mit vollen
Händen weg und teilte es den Armen reichlich mit, wußte
er doch, wie ihn selbst einst die Armut gedrückt hatte.
Des Tanzbodenkönigs Künste wurden vor den übernatürlichen
Künsten des neuen Tänzers zuschanden, und Peter führte
jetzt den Namen Tanz-Kaiser. Die unternehmendsten Spieler am
Sonntag wagten nicht so viel wie er, aber sie verloren auch
nicht so viel. Und je mehr er verlor, desto mehr gewann er.
Das verhielt sich aber ganz so, wie er es vom kleinen Glasmännlein
verlangt hatte. Er hatte sich gewünscht, immer so viel
Geld in der Tasche zu haben, wie der dicke Ezechiel. Und gerade
dieser war es, an welchen er sein Geld verspielte. Und wenn
er zwanzig, dreißig Gulden auf einmal verlor, so hatte
er sie alsbald wieder in der Tasche, wenn sie Ezechiel einstrich.
Nach und nach brachte er es aber im Schlemmen und Spielen weiter
als die schlechtesten Gesellen im Schwarzwald, und man nannte
ihn öfter Spielpeter als Tanzkaiser; denn er spielte jetzt
auch beinahe an allen Werktagen. Darüber kam aber seine
Glashütte nach und nach in Verfall, und daran war Peters
Unverstand schuld. Glas ließ er machen, so viel man immer
machen konnte; aber er hatte mit der Hütte nicht zugleich
das Geheimnis gekauft, wohin man es am besten verschleißen
könne. Er wußte am Ende mit der Menge Glas nichts
anzufangen und verkaufte es um den halben Preis an herumziehende
Händler, nur um seine Arbeiter bezahlen zu können.
Eines Abends ging er auch wieder vom Wirtshaus heim und dachte
trotz des vielen Weines, den er getrunken, um sich fröhlich
zu machen, mit Schrecken und Gram an den Verfall seines Vermögens.
Da bemerkte er auf einmal, daß jemand neben ihm gehe;
er sah sich um, und siehe da - es war das Glasmännlein.
Da geriet er in Zorn und Eifer, vermaß sich hoch und teuer
und schwur, der Kleine sei an all seinem Unglück schuld.
»Was tu' ich nun mit Pferd und Wägelchen?«
rief er. »Was nutzt mir die Hütte und all mein Glas?
Selbst als ich noch ein elender Köhlersbursch war, lebte
ich froher und hatte keine Sorgen. Jetzt weiß ich nicht,
wann der Amtmann kommt und meine Habe schätzt und versteigert,
der Schulden wegen!«
»So?« entgegnete das Glasmännlein. »So?
Ich also soll schuld daran sein, wenn du unglücklich bist?
Ist dies der Dank für meine Wohltaten? Wer hieß dich
so töricht wünschen? Ein Glasmann wolltest du sein
und wußtest nicht, wohin dein Glas verkaufen? Sagte ich
dir nicht, du solltest behutsam wünschen? Verstand, Peter,
Klugheit hat dir gefehlt.«
»Was, Verstand und Klugheit!« rief jener. »Ich
bin ein so kluger Bursche als irgendeiner und will es dir zeigen,
Glasmännlein«, und bei diesen Worten faßte
er das Männlein unsanft am Kragen und schrie: »Hab'
ich dich jetzt, Schatzhauser im grünen Tannenwald? Und
den dritten Wunsch will ich jetzt tun, den sollst du mir gewähren.
Und so will ich hier auf der Stelle zweimalhunderttausend harte
Taler und ein Haus und o weh!« schrie er und schüttelte
die Hand; denn das Waldmännlein hatte sich in glühendes
Glas verwandelt und brannte in seiner Hand wie sprühendes
Feuer. Aber von dem Männlein war nichts mehr zu sehen.
Mehrere Tage lang erinnerte ihn seine geschwollene Hand an
seine Undankbarkeit und Torheit. Dann aber übertäubte
er sein Gewissen und sprach: »Und wenn sie mir die Glashütte
und alles verkaufen, so bleibt mir doch immer der dicke Ezechiel.
So lange der Geld hat am Sonntag, kann es mir nicht fehlen.«
Ja, Peter! Aber wenn er keines hat? - Und so geschah es eines
Tages und war ein wunderliches Rechenexempel. Denn eines Sonntags
kam er angefahren ans Wirtshaus, und die Leute streckten die
Köpfe durch die Fenster, und der eine sagte, da kommt der
Spielpeter, und der andere, ja, der Tanzkaiser, der reiche Glasmann,
und ein dritter schüttelte den Kopf und sprach: »Mit
dem Reichtum kann man es machen, man sagt allerlei von seinen
Schulden, und in der Stadt hat einer gesagt, der Amtmann werde
nicht mehr lange säumen zum Auspfänden.«
Indessen grüßte der reiche Peter die Gäste
am Fenster vornehm und gravitätisch, stieg vom Wagen und
schrie: »Sonnenwirt, guten Abend, ist der dicke Ezechiel
schon da?«
Und eine tiefe Stimme rief: »Nur herein, Peter! Dein
Platz ist dir aufbehalten, wir sind schon da und bei den Karten.«
So trat Peter Munk in die Wirtsstube, fuhr gleich in die Tasche
und merkte, daß Ezechiel gut versehen sein müsse;
denn seine Tasche war bis oben angefüllt. Er setzte sich
hinter den Tisch zu den anderen und gewann und verlor hin und
her, und so spielten sie, bis andere ehrliche Leute nach Hause
gingen, und spielten bei Licht, bis zwei andere Spieler sagten:
»Jetzt ist's genug, und wir müssen heim zu Frau und
Kind.«
Aber Spielpeter forderte den dicken Ezechiel auf zu bleiben.
Dieser wollte lange nicht, endlich aber rief er: »Gut,
jetzt will ich mein Geld zählen, und dann wollen wir knöchern,
den Satz um fünf Gulden; denn niederer ist es doch nur
Kinderspiel.« Er zog den Beutel und zählte und fand
hundert Gulden bar, und Spielpeter wußte nun, wieviel
er selbst habe, und brauchte es nicht erst zu zählen. Aber
hatte Ezechiel vorher gewonnen, so verlor er jetzt Satz für
Satz und fluchte greulich dabei. Warf er einen Pasch, gleich
warf Spielpeter auch einen und immer zwei Augen höher.
Da setzte er endlich die letzten fünf Gulden auf den Tisch
und rief: »Noch einmal, und wenn ich auch den noch verliere,
so höre ich doch nicht auf; dann leihst du mir von deinem
Gewinn, Peter! Ein ehrlicher Kerl hilft dem anderen.«
»Soviel du willst, und wenn es hundert Gulden sein sollten«,
sprach der Tanzkaiser, fröhlich über seinen Gewinn,
und der dicke Ezechiel schüttelte die Würfel und warf
fünfzehn.
»Pasch!« rief er, »jetzt wollen wir sehen!«
Peter aber warf achtzehn, und eine heisere bekannte Stimme
hinter ihm sprach: »So, das war der letzte.«
Er sah sich um, und riesengroß stand der Holländer-Michel
hinter ihm. Erschrocken ließ er das Geld fallen, das er
schon eingezogen hatte. Aber der dicke Ezechiel sah den Waldmann
nicht, sondern verlangte, der Spielpeter sollte ihm zehn Gulden
vorstrecken zum Spiel; halb im Traum fuhr dieser mit der Hand
in die Tasche, aber da war kein Geld, er suchte in der anderen
Tasche, aber auch da fand sich nichts, er kehrte den Rock um,
aber es fiel kein roter Heller heraus, und jetzt erst gedachte
er seines eigenen ersten Wunsches, immer soviel Geld zu haben
als der dicke Ezechiel. Wie Rauch war alles verschwunden.
Der Wirt und Ezechiel sahen ihn staunend an, als er immer suchte
und sein Geld nicht finden konnte, sie wollten ihm nicht glauben,
daß er keines mehr habe, aber als sie endlich selbst in
seinen Taschen suchten, wurden sie zornig und schwuren, der
Spielpeter sei ein böser Zauberer und habe all das gewonnene
Geld und sein eigenes nach Hause gewünscht. Peter verteidigte
sich standhaft; aber der Schein war gegen ihn. Ezechiel sagte,
er wolle die schreckliche Geschichte allen Leuten im Schwarzwald
erzählen, und der Wirt versprach ihm, morgen mit dem frühesten
in die Stadt zu gehen und Peter Munk als Zauberer anzuklagen,
und er wolle es erleben, setzte er hinzu, daß man ihn
verbrenne. Dann fielen sie wütend über ihn her, rissen
ihm das Wams vom Leib und warfen ihn zur Tür hinaus.
Kein Stern schien am Himmel, als Peter trübselig seiner
Wohnung zuschlich; aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt
erkennen, die neben ihm herschritt und endlich sprach: »Mit
dir ist's aus, Peter Munk, all deine Herrlichkeit ist zu Ende,
und das hätt' ich dir schon damals sagen können, als
du nichts von mir hören wolltest und zu dem dummen Glaszwerg
liefst. Da siehst du jetzt, was man davon hat, wenn man meinen
Rat verachtet. Aber versuch es einmal mit mir, ich habe Mitleiden
mit deinem Schicksal. Noch keinen hat es gereut, der sich an
mich wandte, und wenn du den Weg nicht scheust, morgen den ganzen
Tag bin ich am Tannenbühl zu sprechen, wenn du mich rufst.«
Peter merkte wohl, wer so zu ihm spreche; aber es kam ihn ein
Grauen an. Er antwortete nichts, sondern lief seinem Haus zu.
Bei diesen Worten wurde der Erzähler durch ein Geräusch
vor der Schenke unterbrochen. Man hörte einen Wagen anfahren,
mehrere Stimmen riefen nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor
gepocht, und dazwischen heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die
man dem Fuhrmann und den Handwerksburschen angewiesen hatte,
ging nach der Straße hinaus; die vier Gäste sprangen
auf und liefen dorthin, um zu sehen, was vorgefallen sei. Soviel
sie bei dem Schein einer Laterne sehen konnten, stand ein großer
Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein großer Mann
beschäftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu
heben, und einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen,
ein Bediensteter aber schnallte den Koffer los. »Diesen
sei Gott gnädig«, seufzte der Fuhrmann. »Wenn
diese mit heiler Haut aus der Schenke kommen, so ist mir für
meinen Karren auch nicht mehr bange.«
»Stille!« flüsterte der Student. »Mir
ahnet, daß man eigentlich nicht uns, sondern dieser Dame
auflauert; wahrscheinlich waren sie unten schon von ihrer Reise
unterrichtet. Wenn man sie nur warnen könnte! Doch halt!
Es ist im ganzen Wirtshaus kein anständiges Zimmer für
die Damen als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie führen.
Bleibet ihr ruhig in dieser Kammer; ich will die Bediensteten
zu unterrichten suchen.«
Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, löschte die
Kerzen aus und ließ nur das Licht brennen, das ihm die
Wirtin gegeben. Dann lauschte er an der Türe.
Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe herauf und führte
sie mit freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan.
Sie redete ihren Gästen zu, sich bald niederzulegen, weil
sie von der Reise erschöpft sein würden; dann ging
sie wieder hinab. Bald darauf hörte der Student schwere
männliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er öffnete
behutsam die Türe und erblickte durch eine kleine Spalte
den großen Mann, welcher die Damen aus dem Wagen gehoben.
Er trug ein Jagdkleid und hatte einen Hirschfänger an der
Seite und war wohl der Reisestallmeister oder Begleiter der
fremden Damen. Als der Student merkte, daß dieser allein
heraufgekommen war, öffnete er schnell die Tür und
winkte dem Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser
näher, und ehe er noch fragen konnte, was man von ihm wolle,
flüsterte ihm jener zu: »Mein Herr! Sie sind heute
nacht in eine Räuberschenke geraten.«
Der Mann erschrak; der Student zog ihn aber vollends in seine
Türe und erzählte ihm, wie verdächtig es in diesem
Hause aussehe.
Der Jäger wurde sehr besorgt, als er dies hörte;
er belehrte den jungen Mann, daß die Damen, eine Gräfin
und ihre Kammerfrau, anfänglich die ganze Nacht durch haben
fahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde von dieser Schenke
sei ihnen ein Reiter begegnet, der sie angerufen und gefragt
habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, daß
sie gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen,
habe er ihnen abgeraten, indem es gegenwärtig sehr unsicher
sei. »Wenn Ihnen am Rat eines redlichen Mannes etwas liegt«,
habe er hinzugesetzt, »so stehen Sie ab von diesem Gedanken;
es liegt nicht weit von hier eine Schenke; so schlecht und unbequem
sie sein mag, so übernachten Sie lieber daselbst, als daß
Sie sich in dieser dunklen Nacht unnötig der Gefahr preisgeben.«
Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich und rechtlich
ausgesehen, und die Gräfin habe in der Angst vor einem
Räuberanfall befohlen, an dieser Schenke stille zu halten.
Der Jäger hielt es für seine Pflicht, die Damen von
der Gefahr, worin sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in
das andere Zimmer, und bald darauf öffnete er die Türe,
welche von dem Zimmer der Gräfin in das des Studenten führte.
Die Gräfin, eine Dame von etwa vierzig Jahren, trat, vor
Schrecken bleich, zu dem Studenten heraus und ließ sich
alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich,
was in dieser mißlichen Lage zu tun sei, und beschloß,
so behutsam als möglich die zwei Bediensteten, den Fuhrmann
und die Handwerksburschen herbeizuholen, um im Fall eines Angriffs
wenigstens gemeinsame Sache machen zu können.
Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der
Gräfin gegen den Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden
und Stühlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau
aufs Bette, und die zwei Bediensteten hielten bei ihr Wache.
Die früheren Gäste aber und der Jäger setzten
sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die
Gefahr zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause
war alles ruhig und still, und noch machte man keine Miene,
die Gäste zu stören. Da sprach der Zirkelschmied:
»Um wach zu bleiben, wäre es wohl das beste, wir
machten es wieder wie zuvor; wir erzählten nämlich,
was wir von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jäger
nichts dagegen hat, so könnten wir weiter fortfahren.«
Der Jäger aber hatte nicht nur nichts dagegen einzuwenden,
sondern um seine Bereitwilligkeit zu zeigen, versprach er, selbst
etwas zu erzählen. Er hub an:
Weiter Teil 2
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