Wilhelm Hauff
Die
Geschichte von dem Gespensterschiff
Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora;
er war weder arm noch reich und einer von jenen Leuten, die
nicht gerne etwas wagen, aus Furcht, das Wenige zu verlieren,
das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht und brachte
es bald so weit, daß ich ihm an die Hand gehen konnte.
Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die erste größere
Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend
Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte
ihn bald nachher wegen seines Todes glücklich preisen,
denn wenige Wochen hernach lief die Nachricht ein, daß
das Schiff, dem mein Vater seine Güter mitgegeben hatte,
versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser Unfall
nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater
hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück
zu probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet.
Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde
ein. Das Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach
Indien bestimmt. Wir waren schon fünfzehn Tage auf der
gewöhnlichen Straße gefahren, als uns der Kapitän
einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches Gesicht,
denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht
genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ
alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die
Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän
glaubte schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht
zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht
gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen
und Geschrei erscholl aus dem Verdeck herüber, worüber
ich mich zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm nicht
wenig wunderte. Aber der Kapitän an meiner Seite wurde
blaß wie der Tod. »Mein Schiff ist verloren«,
rief er, »dort segelt der Tod!«
Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen
konnte, stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen
herein. »Habt ihr ihn gesehen?« schrien sie. »Jetzt
ist's mit uns vorbei!«
Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem
Koran vorlesen und setzte sich selbst ans Steuerruder. Aber
vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und ehe eine Stunde
verging, krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden
ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet,
so versank das Schiff vor unseren Augen, und als ein Bettler
fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein
Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war nicht
mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen,
und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich
brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte
faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und
stürzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr
gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt; und als ich aufwachte,
befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, der
sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen
hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts
mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein
anderes Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher
hinzukamen, erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der
Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitän so sehr
in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen
vor diesem Schiffe . Die Äußerung des Kapitäns,
die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen
des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so
laut wir schrien, niemand zeigte, erschreckten mich. Doch es
war unser einziges Rettungsmittel; darum priesen wir den Propheten,
der uns so wundervoll erhalten hatte.
Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen
und Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen.
Endlich glückte es. Noch einmal erhob ich meine Stimme,
aber immer blieb es still auf dem Schiff. Da klimmten wir an
dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. Aber Entsetzen!
Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das
Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig
bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen
auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet,
den Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß
und verzerrt, durch die Stirn ging ein großer Nagel, der
ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. Schrecken fesselte
meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein
Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick
des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele
schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir
in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten.
Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch
Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es war;
weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. Nicht
einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am
Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen
nach uns hindrehen oder einer der Getöteten möchte
seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen,
die in den Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten
wir dort halt und sahen einander an, denn keiner wagte es recht,
seine Gedanken zu äußern.
»O Herr«, sprach mein treuer Diener, »hier
ist etwas Schreckliches geschehen. Doch wenn auch das Schiff
da unten voll Mörder steckt, so will ich mich ihnen doch
lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als längere Zeit
unter diesen Toten zubringen.« Ich dachte wie er; wir
faßten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter.
Totenstille war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten
auf der Treppe. Wir standen an der Türe der Kajüte.
Ich legte mein Ohr an die Türe und lauschte; es war nichts
zu hören. Ich machte auf. Das Gemach bot einen unordentlichen
Anblick dar. Kleider, Waffen und andere Geräte lagen untereinander.
Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der Kapitano
mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag alles noch
umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach,
überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen,
Zucker usw. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer
mir, denn da niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles
mir zueignen zu dürfen, Ibrahim aber machte mich aufmerksam
darauf, daß wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Lande
seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht kommen
könnten.
Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in
reichem Maß vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs
Verdeck. Aber hier schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen
Anblick der Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien
und sie über Bord zu werfen; aber wie schauerlich ward
uns zumut, als wir fanden, daß sich keiner aus seiner
Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am Boden,
und man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen,
um sie zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen.
Auch der Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen;
nicht einmal seinen Säbel konnten wir der starren Hand
entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger Betrachtung unserer
Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, erlaubte ich dem
alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, ich selbst aber wollte
auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspähen. Als
aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete,
daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich
ein so unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich
hinter ein Faß, das auf dem Verdeck stand, zurückfiel.
Doch war es mehr Betäubung als Schlaf, denn ich hörte
deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die
Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich
Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören
. Ich wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine
unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal
die Augen konnte ich aufschlagen . Aber immer deutlicher wurden
die Stimmen, es war mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk
auf dem Verdeck sich umhertriebe; mitunter glaubte ich, die
kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören, auch hörte
ich Taue und Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach
aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in einen tieferen
Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu
hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch
stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich
um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört
hatte, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand
ich alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich
war der Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über
meinen Traum und stand auf, um meinen Alten zu suchen.
Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. »O
Herr!« rief er aus, als ich zu ihm hineintrat, »ich
wollte lieber im tiefsten Grund des Meeres liegen, als in diesem
verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen.« Ich fragte
ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir:
»Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf
und vernahm, wie man über meinem Haupt hin und her lief.
Ich dachte zuerst, Ihr wäret es, aber es waren wenigstens
zwanzig, die oben umherliefen; auch hörte ich rufen und
schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. Da
wußte ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf
einige Augenblicke meine Besinnung zurück, und da sah ich
dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, an jenem
Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in einem
roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß
neben ihm und half ihm trinken.« Also erzählte mir
mein alter Diener.
Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir
gar nicht wohl zumute war; denn es war keine Täuschung,
ich hatte ja auch die Toten gar wohl gehört. In solcher
Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein Ibrahim aber
versank wieder in tiefes Nachdenken. »Jetzt hab' ich's!«
rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein
ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister
Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk
helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen
Schlaf, der uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern
zu können, wenn wir nämlich recht eifrig Sprüche
aus dem Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel
mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen.
Neben der Kajüte war ein kleines Kämmerchen, dorthin
beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir bohrten mehrere
Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um
durch sie die ganze Kajüte zu überschauen, dann verschlossen
wir die Türe, so gut es ging, von innen, und Ibrahim schrieb
den Namen des Propheten in alle vier Ecken. So erwarteten wir
die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder ungefähr elf
Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein
Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans
zu beten, was mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft
zu werden; die Taue knarrten, Schritte gingen über das
Verdeck, und mehrere Stimmen waren deutlich zu unterscheiden
- Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter Erwartung gesessen,
da hörten wir etwas die Treppe der Kajüte herabkommen.
Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn
sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte,
herzusagen:
»Kommt ihr herab aus der Luft,
Steigt ihr aus tiefem Meer,
Schlieft ihr in dunkler Gruft,
Stammt ihr vom Feuer her:
Allah ist euer Herr und Meister,
ihm sind gehorsam alle Geister.«
Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen
Spruch, und mir stieg das Haar zu Berg, als die Tür aufflog.
Herein trat jener große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum
angenagelt gesehen hatte. Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten
durchs Hirn; das Schwert aber hatte er in die Scheide gesteckt;
hinter ihm trat noch ein anderer herein, weniger kostbar gekleidet;
auch ihn hatte ich oben liegen sehen. Der Kapitano, denn dies
war er unverkennbar, hatte ein bleiches Gesicht, einen großen,
schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit denen er sich im ganzen
Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als er an
unserer Türe vorüberging; er aber schien gar nicht
auf die Türe zu achten, die uns verbarg. Beide setzten
sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajüte stand, und
sprachen laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten
Sprache. Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der
Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, daß
das Zimmer dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der
andere auf und winkte dem Kapitano, ihm zu folgen. Dieser stand
auf, riß seinen Säbel aus der Scheide, und beide
verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg
waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter
und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte eilends hin
und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging
ein wahrhaft höllischer Lärm los, so daß wir
glaubten, das Verdeck mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr
und Geschrei - auf einmal aber tiefe Stille. Als wir es nach
vielen Stunden wagten hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst;
nicht einer lag anders als früher. Alle waren steif wie
Holz.
So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach
Osten, wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen mußte;
aber wenn es auch bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte,
bei Nacht schien es immer wieder zurückzukehren, denn wir
befanden uns immer wieder am nämlichen Fleck, wenn die
Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht anders erklären,
als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde zurücksegelten.
Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht wurde,
alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe
in der Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf
Pergament und auch das Sprüchlein des Großvaters
dazu und banden es um die eingezogenen Segel. Ängstlich
warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab. Der Spuk
schien diesmal noch ärger zu toben, aber siehe, am anderen
Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen
hatten. Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf,
als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so
legten wir in fünf Tagen eine gute Strecke zurück.
Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer
Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für
unsere wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht
trieben wir an einer Küste hin, und am siebenten Morgen
glaubten wir in geringer Entfernung eine Stadt zu entdecken;
wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See,
der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, das
auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der
Stadt zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluß
ein, der sich in die See ergoß, und stiegen ans Ufer.
Am Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt heiße,
und erfuhren, daß es eine indische Stadt sei, nicht weit
von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir
begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer
abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem
weisen und verständigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen
gab, daß ich einen solchen haben möchte, der sich
ein wenig auf Zauberei verstehe. Er führte mich in eine
abgelegene Straße, an ein unscheinbares Haus, pochte an,
und man ließ mich eintreten mit der Weisung, ich solle
nur nach Muley fragen.
In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart
und langer Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich
sagte ihm, ich suche den weisen Muley, und er antwortete mir,
er sei es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was ich mit den
Toten machen solle und wie ich es angreifen müsse, um sie
aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des
Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines Frevels auf
das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen,
wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen,
als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache.
Mir gehöre von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen
Gütern, weil ich es gleichsam gefunden habe; doch solle
ich alles sehr geheimzuhalten trachten und ihm ein kleines Geschenk
von meinem Überfluß machen; er wolle dafür mit
seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen.
Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir machten uns
mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen
waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren
glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen des
Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies
das einzige Mittel gewesen, uns zu retten.
Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff
ankamen. Wir machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer
Stunde lagen schon vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten
sie an Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie erzählten,
als sie zurückkamen, die Toten hätten ihnen die Mühe
des Begrabens erspart, indem sie, sowie man sie auf die Erde
gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, die
Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an Land gebracht.
Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher am Mast
angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze
zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit
zu verrücken. ich wußte nicht, was anzufangen war;
man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land
zu führen. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er
ließ schnell einen Sklaven an Land rudern, um einen Topf
mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der
Zauberer geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete
die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug dieser die
Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in seiner
Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht heraus,
und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme.
»Wer hat mich hierhergeführt?« sprach er,
nachdem er sich ein wenig erholt zu haben schien. Muley zeigte
auf mich, und ich trat zu ihm. »Dank dir, unbekannter
Fremdling, du hast mich von langen Qualen errettet. Seit fünfzig
Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war
verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt
hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt
zu meinen Vätern gehen.«
Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen
Zustand gekommen sei, und er sprach: »Vor fünfzig
Jahren war ich ein mächtiger, angesehener Mann und wohnte
in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten
und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses Geschäft schon
einige Zeit fortgeführt, da nahm ich einmal auf Zante einen
Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine Gesellen
waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des Mannes;
vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst
in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen
hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als
ich mit meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend
über das, was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich
mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, stürzte
ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust.
Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht
sterben und nicht leben zu können, bis wir unser Haupt
auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn
in die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben
Nacht erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft
empörte sich gegen mich - Mit fürchterlicher Wut wurde
gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an den
Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer erlagen ihren
Wunden, und bald war mein Schiff nur ein großes Grab.
Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte
zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich gefesselt
hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde,
da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle
meine Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir konnten
nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen
und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, können
nicht leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen?
Mit toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in
den Sturm, weil wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen
und das müde Haupt auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu
legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde ich sterben.
Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn Schätze
dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner
Dankbarkeit.«
Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen
hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten,
in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben
ihn an Land; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein
Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die
ich an Bord hatte, gegen andere mit großem Gewinn eingetauscht
hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley
reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterlande ein. Ich
machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Ländern
landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete
mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal
so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte,
in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über
meine Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht
anders, als daß ich das Diamantental des berühmten
Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich ließ sie in ihrem
Glauben, von nun an aber mußten die jungen Leute von Balsora,
wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus,
um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig
und in Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise
nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen
Segen zu danken und für den Kapitano und seine Leute zu
bitten, daß er sie in sein Paradies aufnehme.
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